Elif Cangür war die erste türkische Stadträtin. Integration kostet viel Kraft und Mut, sagt sie. Foto: Heinig Foto: Schwarzwälder-Bote

Elif Cangür steht mit je einem Bein in zwei Kulturen

Von Birgit Heinig

VS-Pfaffenweiler. Sie war die erste türkische Stadträtin, sie ist integriert wie kaum eine Frau mit ausländischen Wurzeln, doch sie gibt zu, dass das viel Kraft gekostet hat und noch immer kostet. Elif Cangür rückte 2011 für Eva Huenges in die Gemeinderatsfraktion der Grünen nach.

Die 45-Jährige stammt aus dem kurdischen Maras, der östlichsten Stadt am Mittelmeer. Mit 19 folgte sie 1990 ihrem Verlobten Ali nach Villingen-Schwenningen. Ihr Schwiegervater gehört zu den ersten Gastarbeitern der Stadt.

"Ich habe kein Wort deutsch gesprochen", erinnert sie sich. Als sie ihren ersten Sohn zur Welt brachte, war sie im Krankenhaus auf Dolmetscher angewiesen. Einen Deutschkurs hat sie nie besucht. Bei den Elternabenden im Pfaffenweiler Kindergarten und später auch in der Grundschule, fühlte sie sich lange als Außenseiterin, "niemand hat mich angesprochen". Doch dann hat sie ihr Leben fest in die Hand genommen.

Heute weiß sie: "Zur Integration gehört Kraft und Mut". Aber auch Menschen, die einem Mut machen. Elif Cangür traf auf Eva Huenges, damals Grünen-Stadträtin und als Ärztin engagiert bei Refugio. "Sie war so ein Mensch". Durch sie wurde Elif Cangür Dolmetscherin für Kurdisch und Türkisch bei Refugio und fand für ihr ohnehin vorhandenes Interesse für Politik auch "ihre" Partei. Heute ist sie nicht nur Stadträtin, sondern auch im Kreisvorstand der Bündnisgrünen.

Obwohl in eine alevitische Familie hineingeboren, traf Elif Cangür erst auf die hiesige Gemeinde dieser Glaubensrichtung, als sie schon eine "Grüne" war. Auch hier setzt sie sich für das Gemeinwohl ein, erledigt unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit.

Mit je einem Bein in zwei Kulturen zu stehen, das koste sie immer noch sehr viel Kraft, gibt sie zu. "Ich bin Kurdin, Türkin, Deutsche, Alevitin, Frau, Ehefrau und Arbeitnehmerin", sagt die Qualitätsfachfrau in einem Pfaffenweiler Industriebetrieb. Außerdem lebe sie immer auch in einer Parallelwelt. "Das gefällt niemandem, aber es gibt sie". Sie fastet als Alevitin, geht als Kurdin auf Demonstrationen und als Deutsche zum Abstauben der Schwenninger Narrenzunft.

"Döner und Currywurst sollten endlich zusammenkommen", wünscht sie sich deshalb. Integration ist für sie Geben und Nehmen. Die deutsche Gesellschaft müsse sich mehr öffnen, die ausländische müsse sich interessieren und mutig sein.

Die Ängste angesichts des derzeitigen Flüchtlingsstromes kann Elif Cangür gut verstehen. Nicht das Fremde, sondern die die schiere Masse mache auch ihr Angst, sagt sie. Als Ehrenamtliche hilft sie mit, den Menschenmassen Herr zu werden und alle Flüchtlinge zu versorgen. Ihre Zeit dafür ist knapp bemessen. Zum Schwimmen und Lesen, zwei ihrer Lieblingsbeschäftigungen neben der Kommunalpolitik, kommt sie gerade kaum noch.

"Ich habe immer noch Hoffnung, dass alles gut geht", sagt sie. Und sie träumt einen Traum: bei der Landtagswahl 2020 möchte sie gerne für die Grünen in das Landesparlament einziehen.