Mehrere Aktenordner füllt der Handgranatenprozess, über den derzeit am Landgericht Konstanz verhandelt wird. Foto: Spitz

Gericht taucht im Handgranaten-Prozess in Security-Sumpf ein. Mutmaßliches Anschlagsopfer schweigt.

Konstanz/Villingen-Schwenningen - Tag zwei im Prozess um die Handgranate, die im Januar auf das Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Villingen geworfen wurde. Das Gericht tauchte in den Sumpf in Teilen des Security-Milieus ein, in dem offenbar Kriminelle für Sicherheit sorgen.

Schon um 8 Uhr ist im Landgericht Konstanz die Hoffnung auf den Tag groß. An diesem Donnerstag soll ein Hauptzeuge vernommen werden: der abtrünnige Mitarbeiter der Villingen-Schwenninger Bewachungsfirma, aus deren Umfeld die Granate offenbar aus Rache über einen verlorenen Großauftrag zur Bewachung der Flüchtlinge in Villingen fiel. Ihm soll der Anschlag gegolten haben.

Doch der Zeuge – selbst schon mit drei Einträgen im Bundeszentralregister von Betrugsfällen über versuchten Totschlag belastet – ist keine Hilfe. Der Mann mit Vollbart schweigt. Noch am Vorabend habe er seinen Anwalt kontaktiert, sagt er. Der habe ihm geraten zu schweigen – schließlich rollt auch auf den 28-Jährigen, der einst mit dem mutmaßlichen Big Boss Sergej D. sowie dem Mann für die Finanzen, Aleksandr W., die Sicherheitsfirma in Villingen-Schwenningen betrieben haben soll, das Verfahren "Rubel" zu.

Das Parallelverfahren war notwendig, um die wirtschaftlichen Hintergründe von Teilen des Security-Milieus im Südwesten aufzudecken – es geht um die Vorwürfe der Steuerhinterziehung, des Betrugs, des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt, aber auch um schier unglaubliche Modalitäten, wie sich Firmen und Mitarbeiter hinter den Kulissen die Aufträge zur Bewachung der Flüchtlinge zugeschustert haben sollen. Der Abtrünnige ist ein Hauptbelastungszeuge, und er sitzt in der Zwickmühle – er soll helfen, das Verbrechen gegen sich selbst aufzuklären, doch mit seiner Aussage würde sich der zwischenzeitlich Arbeitslose vermutlich stark belasten. Nun hat er Erinnerungslücken. "Ich weiß es echt nicht mehr so genau", sagt er mehr als einmal, mit flehendem Blick um Verständnis heischend.

In den Augen einiger der sechs Angeklagten, die ihm mit dem Handgranaten-Anschlag wenn nicht nach dem Leben, dann doch zumindest nach seinem Wohlbefinden getrachtet haben sollen und nun mit Fußfesseln dasitzen, blitzt Genugtuung auf.

Sergej D. besitzt weder Bankkonto noch Steuererklärung, aber einen Mercedes SL

Wenigstens erinnert sich ein anderer, der Chef einer Tuttlinger Sicherheitsfirma. Er hat den Abtrünnigen eingestellt – und mit ihm sei der fast eine Viertelmillion Euro schwere Auftrag zur Bewachung der Flüchtlingsunterkünfte zu ihm gekommen.

Geld war zumindest für die Hintermänner offenbar nie ein Problem. Der Big Boss Sergej D. – ein Mann ohne Bankkonto und laut Ermittlungsstand der Polizei auch ohne eine einzige Steuererklärung an den deutschen Fiskus – fuhr einen Phaeton "und letzten Monat kaufte er sich einen Mercedes SL"; der Mann für die Finanzen in der Geschäftsführung soll es immerhin noch auf einen Mercedes und einen Audi gebracht haben, "bezahlt von dem Geld das mir zusteht", wie sein ehemaliger Geschäftskollege in einer polizeilichen Vernehmung bitter angemerkt haben soll. Der Detektiv hingegen, der die Tuttlinger Bewachungsfirma betrieb, nennt Zahlen. 18,90 Euro habe das Regierungspräsidium pro Stunde und Mann an den bedarfsorientierten Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge bezahlt, plus 15 Prozent Nacht- und 45 Prozent Sonntagszuschlag. Das Villinger Sicherheitsunternehmen – als Subunternehmen engagiert – habe rund 15 Euro erhalten. Das Personal berichtete von neun Euro Stundenlohn.

Es sind viele branchenfremde, offenbar ungelernte Kräfte, welchen in der sensiblen Hoch-Zeit der Flüchtlingskrise die Sicherheit der Asylbewerber anvertraut worden ist. Und nicht nur ein Blick in die Vorstrafenregister der Angeklagten in diesem Prozess schürt Zweifel an der Integrität der Betreiber der Bewachungsfirma und deren Personals: Geldfälschung, Betrug, Diebstahl, versuchter Totschlag – die Palette ist groß und die Hemmschwelle zum Einsatz einer Kriegswaffe war offenbar klein. Der Prozess wird am nächsten Donnerstag fortgesetzt, das Urteil soll am Freitag fallen.