Der Alte Friedhof in Schwenningen birgt unzählige spannende Geschichten / Michael Kopp bietet regelmäßig Führungen an

Von Alicja Bienger

VS-Schwenningen. Der Alte Friedhof in Schwenningen ist eine Stadt der Toten. Und doch wird gerade an diesem Ort die bewegte Geschichte der Schwenninger Uhrenindustrie lebendig. Denn die alten Gräber bergen unzählige Geschichten. Der Schwenninger Michael Kopp erzählt sie auf seinen Führungen.

Spaziert man über den Alten Friedhof in Schwenningen, fühlt man sich in eine andere Zeit zurückversetzt. Auf den verwitterten und manchmal windschiefen Grabsteinen sind die Inschriften teils kaum noch lesbar. Und immer wieder tauchen berühmte Namen auf: Schlenker, Mauthe, Bürk.

Michael Kopp kennt sie (fast) alle. Seit rund 13 Jahren bietet der 63-jährige Schwenninger im Auftrag der Wirtschafts- und Tourismus GmbH ein bis zweimal im Jahr Führungen über das Gelände an. "Hier liegen Friedrich Mauthe und seine Frau, Marie Mauthe geborene Kienzle", sagt er und weist auf das mannshohe Grabmal des Uhrenfabrikanten, auf dem es keine Inschrift-Platte mehr gibt. Überhaupt: Die ganze Mauthe-Dynastie hat ihren eigenen eingezäunten Bereich auf dem Alten Friedhof, von Fabrikgründer Friedrich Mauthe bis hin zu Nachkommen mit einem anderen Nachnamen.

Solche "Friedhöfe auf dem Friedhof" finden sich auf dem gesamten Gelände. Ein paar Meter weiter steht beispielsweise eine große Gruft, zu der man nur durch ein imposantes Eisentor mit den Initialen "JK" gelangt: die Grabstätte der Kienzle-Familie. "Es ist die einzige Gruft auf dem Alten Friedhof", erklärt Michael Kopp und erzählt die Lebensgeschichte von dem talentierten Halbwaisen Jakob Kienzle, der bei seinem Onkel Friedrich Mauthe in der Fabrik lernte und später gemeinsam mit Carl Johannes Schlenker die Uhrenbaufirma "Schlenker & Kienzle" gründete.

Auf den gebürtigen Schwenninger Michael Kopp übte der Alte Friedhof schon immer eine eigenartige Faszination aus. In der Nähe aufgewachsen, liebte er es, als Kind hierherzukommen und zwischen den Grabsteinen zu spielen. "Das war wie ein Abenteuerspielplatz", erinnert er sich. "Ein bisschen verboten, ein bisschen gruselig – ich komme bis heute gerne hierher." Seit rund 13 Jahren lässt er auch andere an dieser Faszination teilhaben, indem er zweimal im Jahr Führungen anbietet, die stets gut besucht sind – und auf denen er selbst häufig etwas Neues erfährt.

Trotz des traurigen Hintergrunds kann man bei diesen Führungen auch allerhand Geschichten erfahren, die von den kleineren und größeren Fehden erzählen und einen deshalb auch schmunzeln lassen. Da wäre etwa das Kapitel Gisela von Barloewen, der Tochter von Clara Etter, geborene Mauthe, die in den 1980er-Jahren so lange einen Prozess gegen die Stadt Villingen-Schwenningen führte, bis sie ihren verstorbenen Ehemann im Familiengrab auf dem Alten Friedhof beisetzen durfte, der damals kein offizieller Friedhof mehr war. Oder die Geschichte vom "Palettenfrieder", Friedrich Jauch, der Kleinstbauteile für die Uhrenindustrie produzierte und irgendwann vom Mauthe-Clan "geschluckt" wurde, so dass Mauthe fortan seine Hand über eines der wichtigsten Teile für die Uhrenherstellung hielt. Und nicht zuletzt das Kapitel Schlenker-Grusen kontra Bürk, eine Familienfehde, die einen tragischen Ausgang nahm. Als 1888 das Patent auf die tragbare Nachtwächteruhr auslief, das bis dahin einzig und allein der Erfinderfamilie Bürk vorbehalten war, produzierte Jakob Schlenker-Grusen, ursprünglich Werksleiter bei Bürk, Uhren in seiner eigenen Fabrik, was das Verhältnis zwischen den beiden Familien naturgemäß abkühlte. Das war aber noch gar nichts im Vergleich zu dem, was sich im November 1913 ereignete: Als sich die Bürk-Familie durchsetzte, dass eine geplante Ausfallstraße nicht durch ihr Grundstück verläuft, sondern durch dasjenige der Familie Schlenker-Grusen, bekam Jakob Schlenker-Grusen vor Wut und Aufregung in der Gemeinderatssitzung vom 28. November 1913 einen Herzinfarkt, an dem er starb.

Ebenfalls eine interessante Geschichte erzählt der wohl einzige renovierte Grabstein auf dem Alten Friedhof, nämlich der des "Urvaters" der Schwenninger Uhrenindustrie: Johannes Bürk, den Erfinder der tragbaren Nachtwächter-Uhr. "Bürk war zeit seines Lebens Demokrat, und die Inschrift auf seinem Grabstein bezieht sich vermutlich auf seinen Kampf für die Demokratie, ein Ziel, welches er immer verfolgte, aber nie erreichte", sagt Kopp. Auf dem Stein ist in Frakturschrift zu lesen: "Du schlafe wohl, / du hast jetzt ausgelitten. / Und ob du auch nicht ganz / das Ziel erreicht, / hast du dafür doch männlich / kühn gestritten. / Du sankst dahin. / Dir sei die Erde leicht!"