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Journalistin verdeckt als Muslima in Villingen unterwegs. Sprache ist größte Herausforderung.

VS-Villingen - Wie fühlt sich wohl eine syrische Muslima, die erst kurze Zeit in Deutschland ist, in Villingen? Wir machten den Selbstversuch.

Mit Hijab (Kopftuch) und schwarzem Mantel bin ich für einen Tag eine Muslima. Mental bin ich vorbereitet, spreche ein paar Brocken arabisch, und "Ehemann" Khaled begleitet mich. Angenehm warm ist es bei den kühlen Temperaturen unter dem Hijab. Ich fühle mich, als steckte ich nicht in meiner Haut.

Im Drogeriemarkt

Der Hijab hält nicht richtig. Khaled und ich gehen in den Drogeriemarkt, Haarklammern suchen. Ich stammle nur etwas auf arabisch herum und ende mit "Tamam?" (alles klar!). Khaled spricht die Verkäuferin an, allerdings auf englisch. Die junge Verkäuferin ist unglaublich nett, lächelt viel und zeigt alles. Ungeschickt fragen wir noch nach Stecknadeln und sie schickt uns ein Stockwerk tiefer. Als wir zurückkommen, geben wir uns zu erkennen. Sie lacht. Was empfand sie? "Ich habe mir so sehr gewünscht, dass Sie besser Deutsch sprechen könnten. Gerne hätte ich Ihnen noch viel mehr im Laden gezeigt." An der Kasse spielen wir weiter. Ich drehe mich um und schenke der deutschen Frau in der Warteschlange ein Lächeln. Sie erwidert freundlich. Meine Erwartung auf Ablehnung zu stoßen, hat sich bisher nicht erfüllt.

In einem Lebensmittelgeschäft für arabische Delikatessen stehen Shishas im Schaufenster, vor der Ladentür ein Ständer mit Grußkarten, die die heilige Familie zeigen. Was für ein Kontrast.

Im Café

Khaled und ich betreten ein Lokal, um einen "Qahuwa" (Kaffee) zu trinken. "Meine Frau lacht immer, überall und quatscht sofort alle Leute an", sagt Khaled und verdreht die Augen. Khaleds Gesichtszüge entgleisen, als ich Sekunden später lautstark in einen Lachanfall ausbreche. Das ist wohl so komisch, dass der sonst ernste Syrer mitkichert. Kurz darauf spitzen "wir Syrer" die Ohren: Ob am Stammtisch jetzt über Flüchtlinge gelästert wird? Die Gespräche drehen sich aber um Alltägliches.

Im Buchladen

Ausgemacht ist, dass Khaled in der Buchhandlung nur arabisch und ein paar Brocken deutsch spricht. Das behagt ihm überhaupt nicht. Warum? "Ich will nicht dumm wirken. Flüchtlinge mit wenig Sprachkenntnissen gehen erst gar nicht in Läden, weil sie nicht ausgelacht werden wollen".

Wir wollen ein deutsch-arabisches Kinderbuch für "unseren" eineinhalbjährigen Sohn kaufen. Eine nette Verkäuferin zeigt uns ein zweisprachig beschriebenes Bilderbuch. Khaled schaut das Buch durch, schüttelt den Kopf. Die arabischen Schreibweisen sind immer wieder falsch. Das können Deutsche in der Regel nicht überprüfen. Aber die freundliche Buchhändlerin bestellt uns drei Kinderbücher zur Auswahl für den nächsten Tag und fragt: "Auf welchen Namen?". Ich schreibe "Karin Schmidtke, Schwarzwälder Bote" auf den Zettel.

Arabische Buchliteratur ist einigermaßen zu bekommen, erfahren wir. Weit schwieriger sei es mit Farsi (Persisch) oder afrikanischen Sprachen. Wir erlebten aber, welche Mühe sich die Mitarbeiterinnen machten. "Brauchen Flüchtlinge ihre Bücher für den Deutschkurs, halten sie uns anfangs meist nur einen Zettel hin. Man verständigt sich mit dem wenigen Deutsch, vielleicht auch über ein paar Brocken Englisch – und mit Händen und Füßen". Irgendwie funktioniere die Kommunikation trotz Sprachhürden immer. "Das braucht mehr Zeit. Aber die nehmen wir uns für alle Kunden", erklärt die Buchhändlerin.

Wir gehen weiter und ich beobachte einmal mehr, dass Khaled nicht an einem Bettler vorbeilaufen kann, ohne ein paar Cent in seinen Becher zu werfen. "He needs help", sagt er und zuckt mit den Schultern.

Am Bahnhof

Im türkischen Gemüseladen erklärt die Tochter, dass sie in der Schule häufig beobachte, wie Flüchtlinge blöde Bemerkungen bekommen oder geschubst werden. "Geh doch mal zum Bahnhof. Am besten um 16 Uhr wenn die Schüler kommen", sagt das Mädchen. Eine halbe Stunde bleiben wir am Bahnhof, aber ich kann keine negative Reaktion von den Umstehenden wahrnehmen.

Beim Metzger

Wie kann man provozieren? Umständlich bestellen Khaled und Muslima in der Metzgerei einen warmen Fleischkäsewecken. Anstandslos bekomme ich den Imbiss. Khaled, als echter Moslem, verzichtet natürlich darauf und amüsiert sich bei der folgenden Szene. Wir sitzen an den Tischen, ich beiße genussvoll in das Brötchen. Neben mir sitzt eine Frau mit demselben Vesper. Sie bekommt immer größere Augen, verschluckt sich fast. Ich nicke ihr zu, deute auf meine Mahlzeit, sage "Das gut" und beiße nochmal zu. Ein älterer Herr kommt in den Laden, sieht her, grinst. Niemand fragt nach, ob ich weiß, was ich esse. Bevor wir gehen, frage ich, ob das Essen auch "Halal" (Islam-konform rein) war. Jetzt werde ich aufgeklärt und spiele "total entsetzt", dass ich Schwein gegessen hatte. "Das ist nicht schlimm", beruhigt mich der Herr mit tiefer Stimme, während die Verkäuferin ihre Gesichtsfarbe verliert. Wir outen uns, alle lachen erleichtert. Die Verkäuferin verrät mir, dass ab und zu Moslems in die Metzgerei kämen, die quer durch die Angebotspalette einkauften. So außergewöhnlich sei die Szene nicht gewesen – und jetzt bin ich die Überraschte. "Künftig werde ich die Leute aber auf die Fleischsorten hinweisen", erklärt die Verkäuferin schmunzelnd.

Im Schwimmbad

In Konstanz habe ein Hallenbad Burkinis von der Willkommensliste gestrichen. Wie ist das in Villingen? Wir treffen "rein zufällig" Rudolf Fürst-Maschek, den Leiter Bäderverwaltung. Er erklärt uns die Regeln freundlich und in einfachem Deutsch. "Der Burkini ist kein Problem, solange er aus dem Stoff für Badekleidung besteht", sagt Fürst-Maschek und beruft sich auf die Dienstanweisung. Nicht erlaubt sei die Kombination Jogginghose und T-Shirt. Baumwollstoff sauge sich mit Wasser voll und könne die Trägerinnen, je nach Schwimm-Talent, in die Tiefe ziehen. Fürst-Maschek nimmt unser Experiment mit Humor.

Beim Juwelier

Ich finde zwei Ringe, die unverschämt günstig reduziert wurden – und versuche dennoch zu handeln. Kommuniziert wird über den Taschenrechner. Die 38 Euro für zwei Ringe will ich auf 20 Euro drücken. Auf 24 Euro? Auf 28 Euro? Die Beraterin bleibt eisern, freundlich und übt sich in Geduld. Als wir uns zu erkennen geben, ernten wir ein erleichtertes Lachen. Wie fühlte sich die Beraterin? "Für mich ist es völlig egal, wer in den Laden kommt. Alle werden gleich behandelt. Ich versuche es in jeder Sprache, die ich kann. Gehandelt wird beim Kauf durchaus. Aber das machen auch die Deutschen."

Unter Rechten?

"Da wurden früher häufiger ›Rechte‹ gesehen", wird uns gesagt, und wir werden in ein Lokal geschickt. Ein heißes Pflaster für Muslime? Na dann. Mulmig ist das Betreten des Lokals schon. Was, wenn die Situation eskaliert? Wir bestellen Kaffee, und ein Mann beginnt ein Gespräch mit uns. Fast wäre er schon in Syrien gewesen, Jahre her. "Suria nicht gut. Bomba...", antworte ich – ehrlich sogar. Ich denke an die grausamen Kriegsszenen, die auhentischen Berichte syrischer Bekannter von Bombardements, Folter und Mord. Plötzlich bekommen wir Brezeln spendiert. Ich sage: "Deutschland gut – Angela Merkel gut". Der Mann antwortet: "Merkel ist super. Die wählen wir nächstes Jahr wieder. Und der Krieg in Syrien ist blöd".

Das Resümee

Teils zwanglos, teils provokant waren wir unterwegs, unsere inneren Sensoren nach negativer Stimmungsmache gegen Flüchtlinge waren voll ausgefahren. An negativen Eklats zweifle ich auf keinen Fall. Verlief der Tag zufällig positiv? Das lässt hoffen. Die Grundstimmung in Villingen war jedenfalls: überraschend und erfreulich angenehm.

Info: Vorbereitung

Tina Mayer wurde in einer badischen Kleinstadt geboren. Erwachsen konvertierte sie zum Islam und trägt seither Hijab. Sprüche bekam sie zu hören wie, sie soll sich gefälligst anpassen. "Ich tu’ alles, um mich zu integrieren. Soll ich noch Nasenringe tragen?", sagt Tina und fügt an: "Sie möchten nur, dass du das Tuch vom Kopf nimmst". Wie fühlt sich eine Muslima in Villingen? Im Secondhandshop kann ich einen schwarzen Mantel auftreiben. Einen alten Sommerrock ziehe ich über die Jeans. Über das Wochenende versuche ich, den blassen Teint mit Selbstbräuner abzudunkeln. Das Augenpiercing muss raus. Bayan "leiht mir ihren Mann Khaled" für einen Tag aus, und sie zeigt mir, wie der Hijab angelegt wird. In der Vorbereitungsphase sprechen wir Burkas an. Khaled erzählt, dass die Frauen aus seiner Familie, die noch in Raqqa lebt, schwarze Burkas tragen müssen, sie hassen die Kluft. Aber anders können sich die Frauen nicht auf die Straße wagen.