Rieten heute: Blick von einem Wohnblock aus auf ein Wohngebiet zwischen Otto-Gönnenwein- und Nagoldstraße. Die kleineren Fotos zeigen den Stadtteil in seinen Anfängen vor mehr als 60 Jahren, als die ehemals mit Schilfgras bewachsenen Grünflächen nach und nach baulich erschlossen wurden. Fotos: Bienger/Stadtarchiv Foto: Schwarzwälder-Bote

Teil drei unserer Stadtteilserie: In Rieten dominieren ruhige Straßen und Mehrfamilienhäuser / Wohngebiet in den 50ern erschlossen

Von Alicja Bienger

VS-Schwenningen. "Am Neckar, am Neckar, do ischt e jedes gern": Dieses alte Volkslied wird auch heute noch gerne gesungen. Wir bauen eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und stellen die sieben großen Stadtviertel von Schwenningen in loser Reihenfolge vor. Teil drei: Rieten, die bunte Vielfalt.

Wie lange es den Rietenmarkt beim Rietenzentrum schon gibt, das weiß offenbar keiner so genau. "Bestimmt 15 Jahre", sagt eine Mitarbeiterin im Rietenzentrum. Anwohnerin Ursula Bauer bietet mehr: "30 Jahre", sagt sie überzeugt – so lange lebe sie schon hier, und so lange gehe sie hier schon einkaufen. Eine andere Dame spricht gar von 50 Jahren – Josef Huber will das dann aber doch nicht so recht glauben. "Nie und nimmer", sagt der Marktbeschicker, "das wüsste ich. Ich denke, es werden zwischen 25 und 30 Jahre sein."

Wie auch immer: Die "Rietener" bleiben ihrem Markt treu, auch wenn die Frequenz, seit es den "Schlecker"-Drogeriemarkt nicht mehr gibt, merklich nachgelassen hat: "Der war ein richtiger Magnet", erinnert sich Huber, der hier jeden Donnerstag Obst, Gemüse, Eier und Nudeln aus eigener Herstellung verkauft. Jetzt, im Winter, steht er zwischen neun und 17 Uhr hier, so lange es hell ist. Im Sommer dauert der Markt auch schon mal länger. Die Rietener lieben ihren Treffpunkt, das Rietenzentrum samt Markt und Rietenbrünnele.

Das Zentrum gibt’s bereits seit 1969, der Stadtteil selbst ist vergleichsweise jung. Rieten entstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Dort, wo heute vom Einfamilien- bis zum Hochhaus alles überbaut ist, war bis zu den 1950er-Jahren das Salinenfeld. Über die Namensgebung ist im Buch "Die Schwenninger Flurnamen" von Otto Benzing zu lesen, dass eine ähnliche Bezeichnung für das Gebiet bereits im Jahr 1363 existierte, nämlich "an Rieta". Später wandelte sich der Name zu "an, hinder Rietthern" und "Riethen"; seit 1960 heißt das Stadtviertel endgültig "Rieten". Nach dem Krieg wurden dort viele einfache Wohnhäuser für die Flüchtlinge aus dem Osten, also den ehemaligen deutschen Gebieten Schlesien, Preußen und dem Sudetenland, errichtet. Daran erinnern bis heute Straßennamen wie Schlesische, Oppelner und Stettiner Straße.

Im Laufe der 1960er-Jahre wächst Rieten immer mehr in die Breite – und auch in die Höhe. Bereits 1960 stehen im westlichsten Stadtteil Schwenningens einige kleinere mehrstöckige Häuser. 1962 genehmigt der Gemeinderat den Bebauungsplan Rieten, der vorsieht, das Gebiet baulich an Sauerwasen anzugliedern. Dadurch sollen 560 neue Wohnungen geschaffen werden. Am 6. Mai 1965 titelt der Schwarzwälder Bote: "Rieten-Ost (=Ostteil von Rieten-Mitte) wird modernes Wohnungsviertel". In dem Artikel heißt es: "Man will endlich einmal ein Wohngebiet schaffen, welches nicht von Straßen kreuz und quer durchschnitten wird, sondern in das nur Stichstraßen führen. Es soll also ein Gebiet mit ausgesprochen ruhiger Wohnlage werden, abseits des üblichen Verkehrslärms (...)". 365 Wohneinheiten sollen geschaffen werden. Weiter heißt es: "Erwähnenswert ist noch, dass an der Rietenstraße ein Einkaufszentrum entstehen soll." Ein halbes Jahr später liegt auch ein Bebauungsplan für den Westteil von Rieten-Mitte vor. Ein Jahr später, am 2. Juni 1966, feiert man das Richtfest für der Postmoderne letzter Schrei: Eines der zwölfstöckigen Rietenhochhäuser steht kurz vor der Vollendung.

Heute ist Rieten ein kunterbunter Stadtteil, in dem Jung und Alt, Deutsche und Migranten friedlich zusammenleben. Architektonisch fühlt man sich noch immer ein bisschen in die 60er- und 70er-Jahre zurückversetzt, und nach wie vor gilt das Rietenbrünnele am Rietenzentrum als Mittelpunkt des Stadtviertels. Bis heute ist der Brunnen ein beliebter Treffpunkt für die Jugend, die gerne unter sich bleiben möchte und eher selten das "Spektrum" in der Alleenstraße aufsucht. In den 1980er-Jahren hatten sich Anwohner über den häufigen Lärm beschwert, den die Jugendlichen spätabends mit ihren Mofas und lauten Gesprächen und Gelächter verursachten. Probeweise wurde ein Doppeldeckerbus als Alternative vors Rietenzentrum gestellt, doch das brachte nicht viel: Gerade laue Sommernächte laden dazu ein, sich draußen aufzuhalten. Und so blieb die Jugend, wo sie war – bis heute. Fragt man heute jedoch Anwohner nach dem Leben im Stadtteil, kommen aber ausschließlich positive Antworten – die Situation scheint sich also entspannt zu haben.