Badische Landesbühne bringt Musils "Verwirrungen des Zöglings Törless"

VS-Villingen (tri). Vordergründig sind Musils "Verwirrungen des Zöglings Törless" eine Internatsgeschichte, in der die Schüler Reiting und Beineberg den weichen Basini beim Diebstahl ertappen, ihn aber nicht anzeigen, sondern zu ihrem Vergnügen auf sadistische Weise erniedrigen. Ihr Mitschüler Törless wird als stiller Beobachter mitschuldig an den Quälereien. Man könnte es ein zeitloses Stück über Mobbing nennen. Doch es ist auch mehr.

In der Bearbeitung von Joerg Bitterich für die Badische Landesbühne geht es um den Zweifel des Törless (Frederik Kienle) an seiner ganzen Welt, nicht nur am Drill des Kasernenhofs und an den Bordell-Besuchen seiner Mitschüler. Was ist real und was nicht; schneiden parallele Linien sich im fernen Universum? Wie real sind imaginäre Zahlen, Wurzeln aus einer negativen Zahl? Solch höhere Mathematik mag philosophisch interessant sein, aber dozierend auf der Bühne vorgetragen ist sie allzu abstrakt. Törless will beobachten, wie weit ein Mensch von anderen gequält werden kann, und wo er zerbricht; kühl und unmenschlich distanziert bleiben seine Studien.

Passend das Bühnenbild: schneebedeckte Hochgebirgsgipfel; als Törless diese Kulisse herunterreißt, bleiben bunte abstrakte Linien, die geometrische Formen bilden. Da ist für den Mathematiker "etwas in den Grundlagen der ganzen Existenz nicht in Ordnung, unser ganzes Dasein bleicher Spuk, wir leben es, aber eigentlich nur aufgrund eines Irrtums, ohne den es nie entstanden wäre" (Robert Musil).

Eindrückliche Bilder entstehen als Schattenrisse des bis auf die Unterwäsche entkleideten, gedemütigten Basini (Markus Wilharm), grotesk verrenkt vor einem farbigen Hintergrund, dann konzentriert auf den bloßen Schattenriss seines Kopfes – aber kann diese Art, psychisches Gequält-Werden darzustellen, überzeugen?

Auch in den Szenen, in denen Basini vor den Freudenmädchen und vor seinen Peinigern zum kläglich bellenden Hund wird, bleibt das nur widerlich.

Laut Einführung und Begleittext wollte das Stück zeigen, wie die faschistische Unmenschlichkeit entstand. Aber das blieb so abstrakt, dass das spärliche, zumeist aus Schülern bestehende Publikum mit dem Verstehen wohl erhebliche Schwierigkeiten gehabt haben dürfte. Eigens für diese Aufführung von Kostia Rapoport komponierte englisch gesungene Musik sollte atmosphärisch die Aufführung unterstützen – sie blieb unauffällig im Hintergrund.

Trotzdem bleibt noch ein Lichtblick: Indem Basini sich auf Törless’ Rat beim Direktor selbst anzeigt, wird er zwar von der Schule verwiesen, aber seine Qual endet; und Törless, angeekelt von all dem Sadismus, verlässt freiwillig die Anstalt. Ob Jugendlichen in einer Identitätskrise bei ihrer Sinnsuche durch diese Inszenierung geholfen wird?