Eine Mutter bringt 2008 an einer Bundesstraße ein Kind zur Welt. Mit der Situation überfordert, lässt sie das Frühgeborene liegen und fährt davon. Nun wurde sie freigesprochen. Foto: dpa-Zentralbild

Eine Mutter von drei Kindern bringt nachts an einer Bundesstraße ein Kind zur Welt. Mit der Situation überfordert, lässt sie das Frühgeborene liegen und fährt davon. Sieben Jahre liegt der Fall zurück - erst jetzt spricht das Gericht sein Urteil.

Dresden - „Wir sind sehr erleichtert!“ - Yvonne W. aus dem sächsischen Meißen fällt ihrem Verteidiger im Saal N 1.05 des Dresdner Landgerichts um den Hals. Freispruch. Unter Tränen, wie an fast allen Verhandlungstagen, hat sie sich am Donnerstag die Urteilsbegründung angehört. Die 37-Jährige saß wegen Verdachts des Totschlags auf der Anklagebank. Jahre zuvor, in der Nacht zum 3. Mai 2008, hatte die dreifache Mutter auf einer Wiese an einer Bundesstraße einen Jungen zur Welt gebracht - überraschend beim Austreten. Sie riss die Nabelschnur durch, ließ das Baby hilflos liegen, ging zurück zum wartenden Auto und fuhr nach Hause.

Vor Strafe bewahrte die Frau nach Einschätzung des Gerichts, dass sie die Schwangerschaft nicht bemerkt hatte, von der Geburt überrascht worden und durch soziale, finanzielle und gesundheitliche Lebensumstände in einer Stresssituation war. Der Junge maß nur 30 Zentimeter und wog 670 Gramm und hatte zudem eine Infektion, die mindestens Mitauslöser der etwa Anfang des siebten Monats beendeten Schwangerschaft war, wie die Vorsitzende Richterin Birgit Wiegand sagt. Laut Zeugen war Yvonne W. eine fürsorgliche Mutter, auch nach der schwierigen Trennung vom Vater ihrer beiden Jüngsten.

Nach einer Operation hatten Ärzte die Frau vor der Gefahr weiterer Schwangerschaften gewarnt. Schon die drei ersten Geburten waren schwierig. Wenn sie mit diesem Wissen schwanger gewesen wäre, hätte sie einen Arzt aufgesucht, war sich die Kammer laut Wiegand sicher und ging daher davon aus, dass das Geschehen Yvonne W. überraschte. „Körperliche Erschöpfung, Schockzustand, Panik, sie konnte nicht reagieren und handeln in dem Moment.“

Die Angeklagte hielt das Baby für tot

Sachverständige hatten eine erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit attestiert - und dass es für Laien schon im Normalfall schwer festzustellen sei, ob ein solch winziges Wesen lebt.

Die Angeklagte habe das Baby für tot gehalten und es sofort verdrängt, sagt Wiegand. Eine Prüfung der Lebensfähigkeit sei ihr aus psychischen Gründen und in diesem Ausnahmezustand strafrechtlich nicht zuzumuten. „Wir können Unterlassung nicht bejahen.“

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen gefordert. Es sei fraglich, ob das weitab spezieller medizinischer Versorgung geborene Kind bei sofortiger Hilfe überlebt hätte. Der Junge starb nach einer halben Stunde an Unterkühlung, die Leiche wurde am nächsten Morgen entdeckt.

Ermittler fanden die Mutter des Kindes erst zwei Monate später. Erst im Juli 2011 wurde Anklage erhoben, bis zum Prozess dauerte es dann weitere vier Jahre - weil Haftsachen Vorrang hatten. Die Kammer hatte sich zum Auftakt dafür entschuldigt. „Die Jahre waren ein Martyrium, das Verfahren schwebte wie ein Damoklesschwert über ihr“, beschrieb der Verteidiger. Yvonne W. sprach auch im Prozess nicht über die Nacht im Mai 2008.