Nein, die letzten wilden Tiger Thailands zeigen sich den Besuchern der immergrünen Nationalparks nicht. Auch die scheuen Wildelefanten machen sich rar. Nur ihre Hinterlassenschaften sind unübersehbar. Dafür begegnet man beim Wandern durch den Dschungel auf Schritt und Tritt anderen Tieren. Wobei es sich empfiehlt, die Stechmücken durch häufiges Einsprühen fernzuhalten. Rund um die Hütte im Urwald herrscht reges Treiben. Unter den Bohlen der Holzterrasse raschelt ein Stachelschwein auf Futtersuche, ein Bogenfingergecko an der Decke lauert auf Insekten, im Schutz der Dunkelheit inspizieren wilde Sambar-Hirsche die Abfallkörbe. Und die Makaken, die morgens an den Fensterläden rütteln, übernehmen den Weckdienst. Manchmal werden diese Affen lästig. Susanne kann ein Lied davon singen. Als die Wanderkameradin zum Frühstück aus ihrer Hütte will, wird sie regelrecht belagert. Eine Horde, angeführt von einem zähnefletschenden Pascha, hat sich auf der Terrasse aufgebaut. Susanne, die als Maschinenbauingenieurin den Umgang mit Alphamännchen gewohnt ist, weicht zurück. Erst das beherzte Eingreifen eines Nachbarn, der einen Ast wirft, kann die Horde vertreiben. Ein Jungaffe, der durch ein Fenster eingestiegen ist, hat ein T-Shirt erbeutet. Weil es ihm nicht schmeckt, landet es im Schlamm. Schmackhaftere Beute macht ein anderer Makak wenig später. Am Frühstückstisch startet er einen Angriff und springt mit einer Banane davon.

Wandern in Thailands Urwäldern

Über den Hügeln und zwischen den Urwaldriesen des Nationalparks Khao Yai, 180 Kilometer nordöstlich von Bangkok gelegen, hängt der Nebel. Die Regenzeit ist in die Verlängerung gegangen und hat die Flüsse und Wasserfälle anschwellen lassen. Unterhalb des Haew Suwat Fall, wo sich einst Leonardo DiCaprio im Film „The Beach“ im klaren Nass aalte, schäumt erdbraunes Wasser. Die knapp 40 Grad warme Luft ist mit Dampf gesättigt. Schon beim Aussteigen aus dem klimatisierten Bus beginnt der Schweiß zu fließen. Nach ein paar Schritten verschluckt uns das Grün. Aus dem Weg wird ein Pfad, der sich schließlich zwischen umgestürzten Bäumen, Schlingpflanzen und Lianen verliert. Ein Hindernisparcours auf schlammigem Boden. Ohne ortskundigen Führer wären die Wanderer im Regenwald schnell verloren. Zu unwegsam ist das Gelände. Und wie, bitte schön, überquert man einen zehn Meter breiten Fluss? Der Führer kennt eine Furt, wo das Wasser nur bis zu den Oberschenkeln reicht. Wahlweise lässt sich das Gewässer auch auf einem umgestürzten Baumstamm überqueren. Vorsichtig und auf allen vieren. Nur nicht abrutschen. Zikaden kreischen mit einer Lautstärke, die an Motorsägen erinnert. Dabei ist dieser Wald seit undenklichen Zeiten unberührt.

Den Urwaldriesen, zwischen deren Brettwurzeln Menschen wie Zwerge wirken, kann nur die alles erstickende Würgefeige etwas anhaben. Pflanzen und Pilze werden bestaunt, Käfer und Spinnen fotografiert. In den Baumwipfeln markieren die Gibbons mit Gebrüll ihr Revier. Lautlos wie ein Schatten hüpft das schwarze thailändische Rieseneichhörnchen hoch droben durchs Geäst. Doch bei jedem Halt geht der Blick der Wanderer zunächst nicht nach oben, sondern konzentriert sich auf den Boden. Denn dort tut sich Erschreckendes. Zwischen dem feucht vermodernden Laub lauert Hirudo ceylonia auf seine Beute. Der schwarze Ceylon-Blutegel ist zwar nicht viel größer als ein Streichholz, aber so schnell wie ein Laufkäfer. Zielsicher nimmt er die Witterung seines Opfers auf, erreicht rasch den Wanderstiefel und macht sich auf zum nahrhaften Ziel. Zwei Methoden können den Vormarsch der Blutsauger etwas bremsen. Im Infocenter des Nationalparks sind Blutegelgamaschen, die bis unter die Kniekehle reichen, der Renner. Auf dem hellen Baumwollgewebe lassen sich die Parasiten leicht erkennen und mit dem Finger wegschnippen. Die zweite Abwehrmethode ist etwas mühsamer: Man muss ständig in Bewegung bleiben, damit die Egel nicht so einfach die Stiefel entern können. Für die Wanderer gibt es deshalb bei jedem Halt kein Halten mehr. Sie trippeln geduldig auf der Stelle. Der unbeholfene Stepptanz im Dschungel ist schweißtreibend und ermüdend. Und wird mit der Zeit vernachlässigt. Die Folge: Am Abend müssen die ersten Saugwunden verpflastert werden.

Die Bahn des Todes

130 Kilometer westlich von Bangkok liegt Kanchanaburi, wo zahlreiche Restaurants und Hunderte Textil-, Schmuck- und Souvenirläden um die Gunst der Touristenmassen buhlen. Das Provinzstädtchen besitzt eine weltbekannte Attraktion: die durch einen Monumentalfilm bekannt gewordene Brücke am Kwai. Dass die unter japanischer Besatzung von Kriegsgefangenen zunächst errichtete Holzbrücke über den Fluss Kwae Yai inzwischen eine Stahlkonstruktion ist, stört keinen der Besucher. Touristen aus aller Welt fotografieren sich gegenseitig auf dem Bauwerk mit dem berühmten Namen. Die Wanderer sind froh, den Rummel bald hinter sich lassen zu können. Im Zug geht es über die Brücke des Kwae 80 Kilometer Richtung Nordwesten zur Endstation Nam Tok. Hier beginnt der Sai-Yok-Nationalpark und hier beginnt ein Pfad, der tief hineinführt ins Herz der Finsternis. Die Wanderung folgt der alten Trasse der Bahn des Todes. Eigentlich galt der Bau einer Eisenbahnstrecke zwischen Bangkok und Rangun in Birma, dem heutigen Myanmar, wegen dichter Urwälder, reißender Flüsse und unwegsamer Gebirgspässe als nicht realisierbar. Doch die Japaner stampften im Zweiten Weltkrieg die mehr als 400 Kilometer lange Trasse in nur 15 Monaten aus dem Boden.