Trainer Goran Ivanisevic (rechts) gibt Novak Djokovic Anweisungen. Foto: IMAGO/ABACAPRESS/IMAGO/Joly Victor/ABACA

Im Jahr 2001 hat Goran Ivanisevic das Tennisturnier in Wimbledon gewonnen. Heute erlebt er die Faszination in London erneut – als Trainer von Novak Djokovic.

Der Mann, der den verrücktesten Siegeszug in der langen Wimbledon-Geschichte auf die Grüns zauberte, kann dieser Tage aus nächster Nähe pausenlos einen „absolut Verrückten“ bestaunen. So nennt Goran Ivanisevic, der einstige „Herr der Asse“, seinen Chef Novak Djokovic. Er meint es natürlich „im positiven Sinn“, die Arbeitsethik, den Perfektionismus, den akribischen Trainingsfleiß, das Achten auf das klitzekleinste Detail bei Djokovic, das übergroße Team, das Djokovic auf Schritt und Tritt assistiert. „Was er tut, um erfolgreich zu sein, ist absolut beispiellos. Er ist irgendwie auf einem anderen Planeten unterwegs“, sagt Ivanisevic, der 51-jährige Coach.

Großer Charakter

Dabei war er selbst ein großer Charakter seines Sports. Eine unverwechselbare Erscheinung. Die Beziehung Ivanisevics zu Wimbledon ist eine der spektakulärsten Geschichten in der nicht ereignisarmen Historie des All England Lawn Tennis Club: Gerade als der kroatische Gewaltaufschläger als eine der tragischsten Figuren in die Annalen eingehen konnte, als dreimaliger Finalverlierer, schaffte er als Wild-Card-Starter mit Weltranglisten-Platz 125 im Jahr 2001 einen schier unmöglichen Triumph – in der Verlängerung am dritten Montag, gegen den Australier Patrik Rafter. „Es war der Tag, die Stunde, auf die ich 15 Jahre hingearbeitet habe. Danach hatte ich meinen Frieden mit dem Tennis gemacht“, sagt Ivanisevic an einem glutheißen Sommertag, an dem er in der gut gekühlten Lobby des Court-Hotels in Halle sitzt. Im „deutschen Klein-Wimbledon“ spielte er seinerzeit einen Schaukampf, gefeiert und beklatscht von den Fans.

Jetzt ist Ivanisevic also der Mann, der dem erfolgreichsten Spieler aller Zeiten hilft, weitere Rekorde zu pulverisieren – und noch mehr Distanz zu den Bestwerten von Rafael Nadal und Roger Federer zu legen. Ivanisevic spielt eine ähnlich zentrale Rolle wie einst auch Boris Becker im Djokovic-Universum, er hat fast alles, was der 36-jährige Serbe auf den Centre-Courts erlebt, selbst schon erlitten und durchlebt. „Diese Erfahrungen sind Gold wert. Ich weiß meistens, zu 95 Prozent, was in seinem Kopf vorgeht“, sagt Ivanisevic. An Djokovics Seite sei auch er „jeden Tag besser“ geworden, besser noch als in seinen ersten Trainerjahren etwa an der Seite seines Landsmannes Mario Ancic. Am Freitag kann Djokovic seinem achten Wimbledon-Titel mit Königsmacher Ivanisevic ein weiteres Stück näher rücken, dann trifft der Titelverteidiger auf den Südtiroler Jannik Sinner.

Nach seinem Abschied vom Profisport hatte sich Ivanisevic erst mal eine Auszeit vom jahrelangen Stress in der Tretmühle der Tennistour gegönnt. „Ich wollte keine Trainingsplätze mehr sehen, keine Centre-Courts. Ich wollte nicht mehr in Hotels schlafen, keine Regenpausen mehr erleben“, sagt Ivanisevic. Die letzte Phase seiner Karriere war auch von Verletzungen überschattet gewesen, immer wieder musste der Präzisionsschütze schmerzstillende Medikamente schlucken. Nach der Entschleunigung und Beruhigung rief irgendwann doch wieder eine innere Stimme, „das zu tun, was mein Leben ist: Tennis. Das große Tennis.“ Nur jetzt als Trainer, Berater, Förderer.

Bei Djokovic ist Ivanisevic nun wieder ganz oben angekommen, höher geht es nicht. Und die alte Anspannung, der Druck, die tägliche Herausforderung sind wieder da – bei einem Boss, der Ansprüche wie kein zweiter stellt. „Es macht unglaublich Spaß. Es ist aber auch unglaublich kompliziert“, sagt Ivanisevic, „Novak ist kein einfacher Typ. Das ist aber normal für diese Kategorie Spieler. Die ticken alle anders.“ Nach dem Paris-Sieg hatte Ivanisevic sogar augenzwinkernd von einer „Art Folter“ gesprochen, der sich das Trainerteam habe unterziehen müssen: „Er hat uns die Nägel herausgerissen. Uns ganz schön herumgescheucht. Er kommt immer mit etwas, das besser werden muss.“

Aber andererseits, sagt Ivanisevic mit etwas zeitlichem Abstand, „gibt es auch keine größere Genugtuung, als wenn dein Mann so durchs Ziel geht wie er“. Die Reise mit Djokovic sei „steinig, auch sehr anstrengend und belastend“, aber auch „wunderschön zugleich“. Oft müssen sich Ivanisevic und seine Mitstreiter eine Menge anhören von Djokovic, gerade in umkämpften Matches sind regelrechte Schimpftiraden nicht selten – da aber ist Ivanisevic komplett immun, er hat es früher schließlich nicht anders gemacht: „Ich sage dann immer: Du kannst rumbrüllen, aber du musst gewinnen.“

Tennis mit Ivanisevic selbst war eine andere Disziplin, nicht so klinisch und makellos. Eher ein schrilles, grenzenloses Vergnügen. Er war ein absolutes Unikat im Profitennis, der „Hammer-Aufschläger“ („Bild“), der bei seinem Wimbledon-Triumph 212 Asse ins gegnerische Feld nagelte und in der Saison 1994 sage und schreibe 1477 Asse markierte. Ivanisevic kehrte seine Seele nach außen wie Boris Becker, haute die Volltreffer übers Netz wie Pete Sampras, durchstand Berg-und-Tal-Fahrten wie Andre Agassi – und blieb doch immer er selbst, ein Typ der aufregenden Widersprüche, ein sensibler Künstler mit rauer Schale. Aus seiner Zerrissenheit machte er selbst kein Hehl, sprach gern vom guten Goran, vom bösen Goran. Und vom Goran, der zwischen den beiden Extremen vermittelte. „Mir ist nichts fremd im Profitennis. Das weiß auch Novak.“

Und wo soll das alles noch enden mit ihm und Djokovic? „Es geht nur um die Grand Slams, das sind die Zahltage“, sagt Ivanisevic, „und das sind die Momente, für die er lebt.“ Mehr habe der Djoker noch in seinem Körper, „ganz sicher“, findet Ivanisevic, „die Ziellinie ist noch nicht in Sicht. 27, 28 Grand Slams sind drin.“