Auf dem Bild von links nach rechts: Daniela Sinn (geborene Schwarz), Christiane Schwarz-Bermann, Gonny Classen, ihr Mann Bart Dinkx sowie Margret und Siegfried Schwarz, der Sohn von Ewald Schwarz Foto: Morlok Foto: Schwarzwälder-Bote

Ewald Schwarz aus Glatt und Erwin Lamprecht aus Beffendorf retten jungem Holländer damit das Leben

Von Peter Morlok

Sulz-Glatt. Als am 10. Mai 1940 Verbände der deutschen Heeresgruppe B die neutralen Niederlande angriffen und Holland so mit in den Zweiten Weltkrieg rissen, war dies gleichzeitig auch für den jungen Zigarrenmacher Martin Claassen der Beginn einer fürchterlichen Zeit. Zu allem Elend, das dieser unsägliche Krieg mit sich brachte, kam für Claassen ab 1941 eine vierjährige Leidenszeit als Zwangsarbeiter bei den Mauserwerken in Oberndorf hinzu. "Wie viele andere jungen Männer wurde mein Vater von der Arbeitsstelle weg verhaftet und auf die lange Reise nach Süddeutschland gebracht", berichtet seine Tochter Gonny im Gespräch mit unserer Zeitung.

Bei völlig unzureichender Ernährung und Bekleidung mussten die Zwangsarbeiter dort täglich bis zu zwölf Stunden arbeiten. Sie waren zudem in zugigen Behelfsbaracken untergebracht, und die hygienischen Bedingungen waren fürchterlich. Es war eine Zeit des Hungers, der Entbehrung, der Fron, die viele der Zwangsarbeiter nicht überlebten.

Martin Claassen hatte Glück. Er fand, was zu jener Zeit absolut verboten war, in Ewald Schwarz aus Glatt und Erwin Lamprecht aus Beffendorf zwei deutsche Arbeitskollegen, mit denen er sich anfreunden konnte. Schwarz und Lamprecht luden den Holländer ab und zu sogar zu sich nach Hause ein, teilten mit ihm das Wenige, was sie und ihre Familien zum Leben hatten und versteckten den jungen Zwangsarbeiter dann, wenn Gefahr durch die Nazis drohte. Seine Tochter ist sich sicher, dass die beiden Freunde ihrem Vater so das Leben retteten und dabei selbst ihr Leben in höchste Gefahr brachten. "Nur durch die Empathie von Ewald Schwarz und Erwin Lamprecht konnte mein Vater die Härte dieser Zeit überstehen". Für Martin Claassen wurden diese beiden Männer zu wichtigen Eckpfeilern in seinem Leben. So wichtig, dass sein erster Enkelsohn auf den Namen Erwin getauft wurde.

Kurz vor Kriegsende schien sich das Blatt zu wenden. Martin Claassen kam aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen aus der Zwangsarbeit frei. Er machte sich auf den beschwerlichen Fußmarsch in seinen holländischen Heimatort Reusel, der in der Nähe von Eindhoven liegt. Er schaffte es aber nicht bis ganz nach Hause. Noch vor der Grenze wurde er wieder gefangen genommen und zurück in die Mauser-Werke gebracht. Mehrere Wochen musste er dort unter unvorstellbaren Bedingungen weiterarbeiten, bis endlich am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Krieg vorbei war. Der junge Niederländer machte sich nun zum zweiten Mal auf den Weg nach Hause. Diesmal kam er auch dort an. Er heiratete am 16. Juni 1946 seine Frau Emma. Sechs Kinder, darunter Tochter Gonny, wurde dem Ehepaar Claassen geschenkt. Er selbst nahm seine Arbeit als Zigarrenmacher wieder auf, seine Frau betrieb im Ort ein Café.

1966 hatten sie sich mit viel Fleiß das Geld erarbeitet, das es ihnen ermöglichte, die Freunde in Deutschland nach all der Zeit wieder zu besuchen. Und damit begründete Martin Claassen eine Tradition des gegenseitigen Besuchens, die noch heute anhält. Martin Claassen selbst ist im Alter von nur 66 Jahren gestorben, aber seine Nachkommen und der Sohn und die Schwiegertochter von Ewald Schwarz erinnern sich noch gerne an den Mann, den die vier Jahre der Zwangsarbeit – für die er im Übrigen nie entschädigt wurde – nicht gebrochen oder verbittert hatten.

"Wenn wir im Café Züfle feierten, dann war es Martin, der nach einigen Schnäpschen immer das Lied ›Es steht eine Mühle im Schwarzwälder Tal‹ anstimmte", erinnerte sich Margret Schwarz, die als karitative Schmuckdesignerin bekannt ist.

Sie war es auch, die unsere Zeitung auf die Geschichte von Martin Claassen, ihrem Schwiegervater Ewald Schwarz und dem Arbeitskollegen Erwin Lamprecht aufmerksam machte. Männer, die es schafften, sich in einer mörderischen Zeit eine Insel der Freundschaft aufzubauen.

Am Holocaust-Gedenktag 2007 wurde ein Mahnmal eingeweiht, das an die 7000 Zwangsarbeiter erinnert, die während der NS-Zeit in der Waffenfabrik der Firma Mauser arbeiteten. Für die Betroffenen selbst und deren Angehörigen ist es zwar nur ein kleiner Trost, aber die Insel der Freundschaft gibt es immer noch. Die Töchter, Söhne und Enkelkinder der drei "Mauser-Arbeiter" füllen sie heute mit Leben und halten so die Erinnerung an drei Männer wach, deren Beispiel heute, auch mit Blick auf die vielen in Deutschland ankommenden Flüchtlingen, ein gelebtes Mahnmal sein könnte.