Johann Jürgens ist der Kohlenmunk. Foto: JU_Ostkreuz

Keine Gnade für Peter Munk. In seiner Dramatisierung des Märchenstoffs zeigt Regisseur Armin Petras im Schauspielhaus Hauffs Helden als Parvenu. Um reich und cool zu werden, verscherbelt der Kohlenjunge sein Herz und hat doch wenig Spaß in dieser lauten, wilden Welt.

Keine Gnade für Peter Munk. In seiner Dramatisierung des Märchenstoffs zeigt Regisseur Armin Petras im Schauspielhaus Hauffs Helden als Parvenu. Um reich und cool zu werden, verscherbelt der Kohlenjunge sein Herz und hat doch wenig Spaß in dieser lauten, wilden Welt.

Das Glasmännlein sitzt mit freundlicher Miene auf einem Holzbock. Na, dann mal los, Menschlein, wünsch’ dir was. Kohlenmunk reißt die Augen auf, das Weiße in den Augen strahlt umso heller, da sein Gesicht von seiner Arbeit doch ziemlich eingerußt ist. Lange überlegt er nicht. Geld, immer so viel wie der Reichste im Dorf, und, bauernschlauer Blick: „jetzt wird’s tricky“, ein noch tollerer Tänzer als der Tanzbodenkönig sein! Berit Jentzschs Glasmännlein schüttelt lachend den Kopf. Was für ein Unsinn. Denn Pferdchen und Wagen, eine Glashütte will er auch noch besitzen, obwohl er „nüscht“ davon versteht.

So sind die Menschen. Warum sich Verstand wünschen, um selber etwas zu erreichen, wenn man doch alles ohne Stress und sofort bekommen könnte? Der Aufstiegs eines Parvenus interessiert den Hausherren und Regisseur Armin Petras an dem Stoff von Hauff in seiner ersten Inszenierung im Schauspielhaus Stuttgart.

Petras zeigt wenig Mitleid mit dem Kohlenmunk. Johann Jürgens spielt den Helden in Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ zumindest gänzlich uncharmant. Auch streicht Petras in seiner Dramatisierung Passagen, in denen der zu Geld gekommene Peter Munk den Armen großzügig gibt. Er ist ein tumber Typ, der keine Lust auf das Leben hat, wie seine Mutter und sein Vater es führen, arm, aber ehrbar.

„Warum muss gerade ich ein schwarzer einsamer Kohlenbrenner sein?“ jammert er. „Wenn ich nicht bald auf einen grünen Zweig komme, dann tu ich mir was an“, raunzt er die verschreckt dreinblickende Mutter (Rahel Ohm) an. Die Dinge verändern sich. So viele sind reich heute und haben Spaß. Also wünscht der junge Kerl sich eben, was gerade en vogue ist. Geld, Spaß, Frauen. Doch um welchen Preis?

Die dünne Geschichte – Mensch verkauft Seele gegen Reichtum, bereut und wird gerettet – mit der schlichten, wie wohl wahren Moral (Geld macht nicht glücklich) wird am Samstag mit einem Wahnsinnsaufwand bebildert, besungen, bespielt. Und um eine Rivalitätsgeschichte bereichert, denn nicht nur Munk, auch der Tanzbodenkönig will Lisbeth haben, was dem Schauspieler Christian Schneeweiß als Tanzbodenkönig einige bemerkenswerte Auftritte ermöglicht.

Olaf Altmann baut eine bis weit in den Bühnenhimmel ragende imposante Wand, auf die dunkel schöne Schwarzwaldvideos (Rebecca Riedel) projiziert werden und die sich im zweiten Teil des Abends dreht und nun die goldene Kulisse einer Kirche oder auch eines Gelddepots abgibt. Schauspielschüler in Waldgeistkostümen (Katja Strohschneider) umschwirren Munk, junge Frauen in Dessous lassen die Hochzeitsglocken klingeln und üben sich im Catwalk wie bei einem Model-Wettbewerb, bevor Munk seiner Lisbeth so schnell das Kleid auszieht wie ein Kind, das an Weihnachten die Verpackung seines Spielzeugs aufreißt. Die von der Mutter und dem Glasmännlein propagierte konservative, das System stabilisierende Moral vom Schuster, der bei seinen Leisten bleiben soll, wird ironisch gebrochen.

Der Schauspieler Christian Schneeweiß macht daraus ein Lied, das zu Livemusik (Miles Perkin) mit Schlagersänger-Gebärden interpretiert. Caroline Junghans als Lisbeth singt anrührend Verse von Demetrius Schrutz: „Dein Herz, an meinem sollt’s erwarmen/auf hundert Grade Celsius.“ Manja Kuhl, zu Beginn eine Magd im armen Hause Munk, geistert rußgesichtig und in verschiedensten Rollen über die Bühne und erinnert stets an die Armut, der Munk entkommen will. Schließlich: eine minutenlange Festtagsgaudi. Es ist ein besinnungsloses, manchmal heiter unbeschwertes Leben, in das sich der Kohlenmunk stürzt und dem er doch unbeteiligt beiwohnt. Als er sich immer noch schwarz um die Nase, doch mit Taschen voller Geld unter die Leute mischt, bevölkert die ganz wunderbar aufspielende und auftanzende Volkstanzgruppe Frommern die Bühne und bittet auch das Publikum zum Tanz. Einzig der lasziv polternde Holländermichel (Wolfgang Michalek) verpasst dem Reigen eine schrille Note.

Der röhrt später in Erwartung des Munk-Herzens das Velvet-Underground-Lied „Waiting For My Man“. Lange muss er nicht warten auf seinen Mann. Dem Munk schwatzt er mit freundlich überredenden Worten das Herz ab, das so unnütz ängstlich pocht und den schnell Pleite gegangenen Dummkopf von den kapitalistischen Großtaten abhält: stinkreich werden, Leute in Schulden treiben.

Bei all dieser Überwältigungsdramatik, die das laute, leere Leben bebildert, bei all dem ausgiebigen Schreien, Singen, Tanzen bleibt wenig Raum fürs rein Spielerische. Umso grandioser ist es, wie sich die Schauspieler dann doch gegen die Macht der Bilder behaupten. Wie Caroline Junghans und Christian Schneeweiß nebeneinander auf dem Bänkchen sitzen und viel über Erwartungshaltungen dem Leben und der Liebe gegenüber erzählen: Sie spricht stolz und sinnlich über ihre Verehrer. Er, breitbeinig machohaft, lässt seinen Besitzerblick auf der jungen Frau ruhen. Oder wie Johann Jürgens’ Munk zum Verbrecher geworden alle Verantwortung zurückweist und mit Fingerzeig ins Publikum nach seinen vielen Anwälten ruft.

Viel Raserei und Stillstand. Und ein kluger Schluss, bei dem Ehrfurcht vor Gott, Menschen und Leben als Volkstanztradition eindrucksvoll vorgeführt wird. Bei dem aber das gute Ende eines geläuterten Menschen verweigert wird und nur als Zitat von früheren „Kaltes Herz“-Bearbeitungen aus dem Off erklingt. Keine simple Erlösung, dafür nach zweieinhalb ungestümen Stunden nachdenkliches, kopfschüttelndes Wundern über das sonderbar Menschlein-Geschlecht.

Weitere Termine: An diesem Mittwoch, 4., 18., 22. März, 4., 10., 19. April. Karten unter: 07 11 / 20 20 90.