Mit dem Mercedes "Adenauer" kommt der zweithöchste Mann der Bundesrepublik in den Stadtgarten. Unser Bild zeigt (von links) "Chauffeur" Jörg Wisser vom Forum am Bahnhof, den CDU-Bundestagsabgeordneten Thorsten Frei, Norbert Lammert, den CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Marcus Müller und den CDU-Ehrenvorsitzenden Manfred Scherer. Foto: Vaas Foto: Schwarzwälder-Bote

Politik: Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht über Europa, die Türkei, den Brexit und die US-Wahlen

Die Einheitslinde, im Jahr 1990 im Stadtgarten vom CDU-Stadtverband gepflanzt, war der Ort für hohen Besuch. Norbert Lammert, Präsident des Bundestags und damit zweiter Mann im Staat, warb für Thorsten Frei.

St. Georgen. Lammerts erste Legislaturperiode dauerte von 1980 bis 83. Richard Stücklen war der Parlamentspräsident und Helmut Schmidt der Kanzler, abgelöst von Helmut Kohl. Rainer Barzel saß dann dem Parlament vor. Seither haben sich die politischen Verhältnisse verändert, unterstrich er. Dies sei auch die künftige Herausforderung für den Bundestag und die Regierung. Im Jahr 2014 habe Russland die Krim besetzt. Dies sei gar nicht aus so heiterem Himmel erfolgt. Die Ukraine sei kurz davor gestanden, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Moskau habe die Absage erzwungen.

Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten schienen die Grenzen in Europa festgeschrieben, für immer unantastbar. "Wir wissen jetzt, dass deren Sicherung von uns selbst gewährleistet werden muss", so Lammert. Ohne Armee und Waffen sei dies nicht realistisch und dürfe nicht verdrängt werden.

Im Jahr 2015 kam eine "gigantische Flüchtlingswelle". Deutschland habe dabei viel mehr erreicht als jedes andere europäische Land. Es sei so beachtliches gelungen, weil es Kooperationen zwischen Behörden und bürgerschaftlichem Engagement gegeben habe. Es sei eine ermutigende Erfahrung zu wissen, wozu unsere Gesellschaft imstande sei quer durch alle Generationen. Das Thema sei nicht durch, auch wenn es im Moment mühelos bewältigt werde.

Die Welt sei größer als jemals zuvor. Die Globalisierung habe sie gleichzeitig kleiner gemacht. Die Digitalisierung liefere sofort Informationen von jedem Platz der Welt. Früher habe man hierfür oft Jahrzehnte gebraucht. Der zeitliche Vorsprung sei dahin und bringe Wettbewerbsverschiebungen. "Die Welt ist wie sie ist. Die früheren Zeiten sind vorbei und kehren auch nicht wieder", so der Parlamentspräsident. Er empfahl, sich auf die Globalisierung einzustellen. Die vermutlich wichtigste Wirkung sei der Verlust der Souveränität einzelner Staaten. "Wir sind wechselseitig voneinander abhängig und können nichts zurückdrehen", betonte er.

Deutschland habe 82 Millionen Einwohner, das sei ein Prozent der Weltbevölkerung. Die 500 Millionen EU-Einwohner entsprechen einem Drittel der chinesischen Bevölkerung. Andere wachsen, Europa nicht, betonte Lammert. Europa als Zentrum der Welt sei Vergangenheit. Das gemeinsame Europa sei aber die Antwort auf die Globalisierung. Dafür müssten die Staaten ihre Souveränität teilen.

In den nächsten Jahren würden sich immer häufiger junge Menschen aus Afrika die Frage stellen, wo sie eine bessere Zukunft finden könnten. "Wir sollten keine neuen Mauern aufbauen. Es muss uns etwas intelligenteres einfallen", forderte der Politiker. Der Brexit werde mit etwas Zeitabstand von den Historikern sicher einmal als die skurrilste Fehlentscheidung wahrgenommen. Er werde niemand nutzen. Der Schaden sollte sich in möglichst engen Grenzen halten.

Es wäre nicht so weit gekommen, wenn die junge Generation zur Wahl gegangen wäre, zeigte sich Lammert sicher. Weniger als 40 Prozent hätten von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Statt dessen habe sie den Rentnern die Entscheidung über die Zukunft überlassen. Da helfe auch Protest nicht weiter.

Fast zeitgleich habe es in der Türkei einen Putsch, eigentlich zwei gegeben. Durch den bemerkenswerten Einsatz der Bevölkerung sei der erste Versuch gescheitert. Doch dann habe die eigene Regierung gegen die Bevölkerung geputscht. Damit sei der Weg nach Europa völlig ausgeschlossen. "Ein solcher Staat hat in Europa nichts zu suchen", unterstrich Lammert. Dies sei aber deprimierend für Millionen von Türken. Die Rolle der Türken in Deutschland gebe dagegen zu denken.

"Zu den USA fällt mir nichts ein", so Lammert. Es zeige aber, dass starke Parteien notwendig seien. In Deutschland wäre es nie zu so einem Kandidaten oder gar Präsidenten gekommen. Alle Wahlberechtigten sollten am 24. September daran denken. Deutschland werde in Europa und in der ganzen Welt weiter an Gewicht gewinnen. Das habe die alte Generation ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende nicht erwartet. Die friedliche Wiedervereinigung habe dabei eine große Rolle gespielt. Das Ansehen Deutschlands in der Welt sei noch nie so groß gewesen. "Das erzeugt aber auch Erwartungen, vor denen wir uns nicht drücken können. Sie sind im Kern auch berechtigt", stellte Lammert fest.