Sigisbert Ackermann Foto: Flaig

Schwimmen: Paralympicssieger-Trainer Sigisbert Ackermann und sein Rauswurf beim TSV Rottweil.  

In der Schwimmabteilung des TSV Rottweil ist seit Jahresbeginn nichts mehr so, wie es einmal war. Denn einer fehlt: Trainer Sigisbert Ackermann.

Es ist der 27. Dezember 2018. Die ganze Familie ist nach den Weihnachtstagen noch bei Sigisbert Ackermann versammelt. Seine Frau Dagmar kommt vom Briefkasten und überreicht ihm einen Umschlag mit der Aufschrift "Persönliche Zustellung". Der 69-Jährige öffnet das Kuvert, liest den Inhalt des Schreibens und ist "wie vor den Kopf gestoßen".

Der Vorsitzende des TSV Rottweil, Hans-Peter Dziuba, teilt in dem Brief mit, dass Sigisbert Ackermann "mit sofortiger Wirkung" von seinen Aufgaben "als Übungsleiter der Schwimmabteilung des TSV Rottweil entbunden" ist. Nach 38 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit wird ihm von Seiten seines Vereins in Briefform der Stuhl vor die Tür gesetzt. Wie konnte es so weit kommen?

Rückblende. Im Juni 2018 erreicht die Schwimm-Abteilungsleiterin des TSV Rottweil, Melanie Dziuba, und ihren Vater Hans-Peter – Vereinsvorsitzender des TSV – ein Schreiben eines anderen Übungsleiters der Schwimmabteilung, in dem dieser einen Antrag stellt, und zwar: "Einstellung der Trainer-Pauschale von 350 € mtl. von Sigisbert Ackermann".

In der Begründung greift dieser andere Übungsleiter Ackermann heftig persönlich an. Unter anderem behauptet er, Ackermann komme "in der Regel 10 bis 60 min. jedes Training zu spät oder gar nicht", kümmere sich nicht um Trainerersatz und kassiere seine Pauschale, auch wenn er gar kein Training gebe – wie nach seinem Fahrradunfall im Frühjahr 2015, als er mit gebrochenem Genick im Krankenhaus lag ("meines Wissens keine Rückerstattung").

Außerdem sei seine "Trainingsmotivation" nach den Paralympics 2016 "für den Großteil der Schwimmabteilung ins absolute Tief" gefallen, er kümmere sich "fast ausschließlich nur noch um den aus Hechingen stammenden Elias Pufke" und lasse "die restlichen Schwimmer/-innen der Schwimmabteilung ... überwiegend links liegen oder vertreibt sie aus der Schwimmabteilung." Außerdem behauptet er: "Das Wort Team ist für ihn ein Fremdwort."

Starker Tobak

Sigisbert Ackermann ("Natürlich war ich zu Trainingsbeginn immer im Bad, aber das Einschwimmen am Anfang führen die Schwimmer eigenverantwortlich durch. Ich bin doch kein Sklaventreiber") hat in der Folge ein Gespräch mit Hans-Peter Dziuba. "Was soll ich da jetzt machen?", habe Dziuba ihn gefragt, erzählt Ackermann, "ich will nicht auch noch Zoff in der Schwimmabteilung haben." Ackermann wehrt sich gegen die Vorwürfe: "Ich habe immer Trainingspläne geschrieben und die ältesten Schwimmer damit versorgt, selbst am Krankenbett." Seine Trainingspläne und -aufzeichnungen füllen Kisten im Keller seines Hauses.

Bis zum September geschieht nichts, dann wird in einer Sitzung der Schwimmabteilung der "Antrag" des Übungsleiterkollegen auf die Tagesordnung gesetzt. Inhalt laut (Gedächtnis-)Protokoll von Hans-Peter Dziuba: Dem TSV Rottweil liege kein schriftlicher Vertrag "zur Pauschalabrechnung der Übungsleitervergütung Sigisbert Ackermann" vor, und "Sigisbert Ackermann kann auch keinen schriftlichen Vertrag vorlegen". Ackermann lehnt es ab, in dieser Runde zu diesem Thema Stellung zu beziehen.

Das tut er eine Woche darauf in einem Dreierkreis mit Hans-Peter Dziuba und dem TSV-Ehrenvorsitzenden Edmund Schnell. Ackermann bringt die Abmachung in schriftlicher Form mit – allein: Das unterschriebene Exemplar verblieb 2006 beim Verein. Und dort kann das Schreiben nicht gefunden werden. Edmund Schnell schüttelt den Kopf, denn juristisch ist völlig klar: Auch wenn die Vertragsabschrift, die Ackermann vorlegt, keine Unterschriften trägt – von dem Datum der Abmachung an hat der Verein über Jahre die Verpflichtungen erfüllt, die sich daraus ergeben. Das gilt vor Gericht so viel wie eine Unterschrift. Im Übrigen schon nach nur wenigen Monaten. Juristisches Fazit: Der Vertrag ist, auch wenn der Verein ihn in seinen Unterlagen nicht finden kann, rechtsgültig.

Dennoch beschließt der Vorstand des TSV Rottweil am 12. Oktober, die Bezahlung der Pauschale zum 1. November einzustellen. "Ich hätte ja mit mir reden lassen", sagt Sigisbert Ackermann, "wenn es nur um den Punkt ›Geld‹ gegangen wäre. Das war mir noch nie wichtig." Im Jahr 2006 kam es ja eben zu dieser Pauschalierung, weil dem damaligen Vorsitzenden Christof M. Burkard und dessen Kassier Frank Huber aufgefallen war: "Du kriegst ja gar kein Geld!" Jahrelang hatte Ackermann keine Übungsleiterpauschale erhalten, deshalb beschlossen die beiden Vorstandsherren: "Wir machen einen Deal mit dir." Daher rührt die jetzt so umstrittene Pauschale, die offenbar den "puren Neid" (Vermutung Ackermanns) des Kollegen heraufbeschworen hat. Was Ackermann auf die Palme bringt, ist die Vorgehensweise des anderen Übungsleiters. Und die Reaktion des Vereins.

Für den November reicht Ackermann wie die Übungsleiterkollegen seine geleisteten Trainingsstunden zum Satz von 7 Euro und die Fahrtkosten ein – eine lange Liste. Bis zum 12. Mai 2019 ging – laut Ackermanns Aussage – auf seinem Konto ein: nichts.

In einem weiteren Punkt legt sich Sigisbert Ackermann mit dem TSV Rottweil an. Im neuen Nutzungsvertrag mit der Bädergesellschaft wird festgelegt, dass die Übungsleiter des Vereins ihre "Rettungsfähigkeit nachweisen müssen". Ackermann zweifelt diese Notwendigkeit an ("Wir belegen ja nicht alle Bahnen. Wenn gleichzeitig Badebetrieb stattfindet, sind ja Bademeister vor Ort"), weist aber dennoch seinen DLRG-Grundschein nach. Ausstellungsdatum allerdings: 1973. Die DLRG bestätigt zwar, "dass der nie ungültig wird" (Ackermann), aber – aus verständlichen Gründen – ist der Verein mit diesem Nachweis nicht zufrieden ("Ich muss persönlich haften, wenn etwas passiert" – Hans-Peter Dziuba). Nach einigem Hin und Her setzt Dziuba die Frist 14. Dezember, Ackermann erbringt die Nachweise einen Tag vor Fristablauf. Per Mail. Und in diese schreibt er spitz: "Aufgrund der mit dem TSV Rottweil in diesem Jahr gemachten Erfahrungen verbleiben die Originale bei mir."

Rumms. Das hat gesessen. Hans-Peter Dziuba fühlt sich – nicht ganz zu Unrecht – persönlich getroffen und sieht "einen Vertrauensentzug gegenüber mir als Vorsitzendem des TSV Rottweil, der von mir so nicht hinnehmbar ist". So schreibt er es in sein "Kündigungsschreiben" am 27. Dezember 2018. Am 2. Januar sagt er vor Eltern, Trainern und Schwimmern: "Er (Sigisbert Ackermann, Anm. der Redaktion) hat damit eine rote Linie überschritten. Er hat mir damit unterstellt, dass ich das Original verdummbeutelt, verschlampert oder entsorgt habe."

Massiver Vertrauensbruch

Einen "massiven Vertrauensbruch" hatte Ackermann einen Monat zuvor schriftlich bei Hans-Peter Dziuba moniert, weil "weder die Abteilungsleiterin Melanie Dziuba, noch ihr Vater, der Vereinsvorsitzende Hans-Peter Dziuba, sich von dem im Antrag (des Übungsleiterkollegen, Anm. der Redaktion) vom 25.06.2018 gegen mich erhobenen ehrverletzenden Vorwürfen distanziert noch diese erkennbar zurückgewiesen" hätten.

Sauer stößt Ackermann auch auf, dass auf Nachfrage nach den Gründen für sein Ausscheiden einer Schwimmerin und deren Eltern beschieden worden sein soll: "Es gab Vorkommnisse. Aber dazu sagen wir nichts. Wir wollen Herrn Ackermann in Schutz nehmen." Besorgt fragt sich Ackermann: "Was müssen die Leute über mich denken?"

Auf Anfrage wollte sich TSV-Vereinschef Hans-Peter Dziuba nicht äußern. "Die einstimmige Entscheidung im Ausschuss der Schwimmabteilung zum Trainerwechsel, die vom Vorstand des TSV Rottweil in Einzelgesprächen bestätigt wurde, werden wir in der Öffentlichkeit (Presse) nicht kommentieren. Hierfür bitten wir um Ihr Verständnis", antwortete er per Mail.

Kommentiert haben allerdings Schwimmer, Aktive und Vereinsmitglieder. Viel Zustimmung erfuhr Ackermann in den ersten Monaten des Jahres, in denen er "seine" Schwimmer beim TV Aixheim und beim SSC Schwenningen weiter trainierte, nachdem ihm die Karte für das Rottweiler Aquasol mit sofortiger Wirkung entzogen worden war. Sein Smartphone explodierte, der Mail-Eingang war dauerverstopft. "Das Schreiben an dich ist dumm und unverschämt", steht da zu lesen, oder: "Wann sind Sie wieder unser Trainer?" Ein bekannter Triathlet und Extremsportler schreibt in seiner Kündigung der Vereinsmitgliedschaft beim TSV Rottweil: "Wenn einem Trainer nach 38 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit ... eine derart unwürdige Enthebung widerfährt, entspricht das nicht meinem Verständnis von Vereinsführung."