Pforzheim - Die Pforzheimer Schwimmerin Silke Lippok hat bewegte Tage hinter sich. Eigentlich hätte sie bei den Olympischen Jugendspielen in Singapur starten sollen - stattdessen holte sie bei den Profi-Europameisterschaften in Budapest sensationell drei Medaillen.

Ganz ohne Wasser in ihrer direkten Nähe kann Silke Lippok nicht leben. Nach der erfolgreichen Schwimm-EM in Budapest ist die 16-Jährige mit ihren Eltern gestern noch in der ungarischen Hauptstadt in den Wohnwagen gestiegen. Es ging nach Kroatien in den Urlaub - direkt ans Meer.

Dort wird die junge Pforzheimerin vielleicht Zeit finden, um ihren unglaublichen Sommer Revue passieren zu lassen, bei dem alles anders geplant war. Eigentlich hätte Lippok in diesen Tagen bei den Olympischen Jugendspielen in Singapur an den Start gehen sollen. Doch daraus wurde nichts - zu gut waren ihre Leistungen bei den Junioren-Europameisterschaften vor einem Monat, als sie fünf Goldmedaillen gewonnen hatte. Statt zu den Jugendspielen ging's zur Erwachsenen-EM nach Budapest - und da mischte Lippok sensationell die Weltelite auf: Gold mit der 4x100-Meter-Freistilstaffel, Bronze mit der 4x100-Meter- Lagen-Staffel. Und: Silber über die 200 Meter Freistil im Einzel, ihrer Paradestrecke.

Die Italienerin Federica Pellegrini, Goldmedaillengewinnerin und seit Jahren das Maß der Dinge über diese Strecke, sagt, dass Lippok bald ihre größte Herausforderin werde. Deutschlands Schwimmstar Britta Steffen sagt, dass sie gegen Lippok über 200 Meter alt aussehen würde. Und Lippok? "Wenn die das sagen, wird was dran sein."

Unbekümmertheit, Frechheit und Fleiß, das ist Lippoks Erfolgsformel

"Typisch Silke", sagt Ralf Gremmer dazu. Er war Lippoks erster Trainer bei der SSG Pforzheim. "Sie macht sich keinen Kopf. Wenn sie sich etwas vorgenommen hat, zieht sie das durch. Dabei interessiert es sie nicht, was andere dazu sagen, gegen wen sie gerade antritt oder was um sie herum geschieht." Unbekümmertheit, Frechheit und Fleiß, das ist Lippoks Erfolgsformel. "Das war schon immer so", sagt Gremmer.

Mit zwölf Jahren kam die Schwimmerin in die erste Mannschaft der SSG Pforzheim, seither wird sie von ihrem Heimcoach, dem heute 70-jährigen Rudi Schulz, trainiert. Der hat sich früher in einem Karlsruher Freibad um die Heizungen und die Belüftungsanlage gekümmert. Nun widmet er sich Lippoks Technik im Wasser. "Das passt mit den beiden", sagt Gremmer. "Schulz ist extrem ehrgeizig, er setzt seine Vorstellungen im Training gnadenlos um - genauso wie Silke." Schulz sei ein Trainer, der modernste Trainingsmethoden anwendet - das aber mit preußischer Disziplin: "Silke und er liegen auf einer Wellenlänge." Auf die Frage etwa, was sie gegen schrumpelige Hände unternimmt, die dem Kontakt mit dem Chlorwasser geschuldet sind, sagt Lippok nur: "Das ist mir egal, ich bin ja keine Schönheitskönigin." Die Schülerin ist eine bodenständige Arbeiterin, die beim Schwimmen alles um sich herum vergisst.

Silke Lippok muss immer mehr tun im Training als ihre Konkurrentinnen. Sie ist mit ihren 1,67 Metern sehr klein für eine Spitzenschwimmerin. Den verkürzten Armzug macht sie durch harte Arbeit, ihre enorme Kraft und ihren Stil wett. "Das ist eine Symbiose aus Technik und Intuition, bei der im Wasser kaum Kraft verloren geht", sagt Lippoks Heidelberger Stützpunkttrainer Michael Spikermann: "Es ist, wie wenn man auf Glatteis anfährt, ohne dass die Reifen durchdrehen."

Lippok bleibt daheim im kleinen Becken

Ihren Stil optimiert die 16-Jährige daheim in Pforzheim. Auf einer 25-Meter-Bahn trainiert Lippok sechsmal die Woche, jeweils zwei Stunden täglich. Wo andere Schwimmer unter modernen Bedingungen und in 50-Meter-Bahnen trainieren, bleibt Lippok daheim im kleinen Becken. "Natürlich ist es ein Nachteil, wenn man doppelt so viele Wenden im Training machen muss und dadurch die Intensität leidet im Vergleich zu einer 50-Meter-Bahn", so Gremmer. "Aber Bedingungen sind nicht alles."

Lippok braucht ihr gewohntes Umfeld: die Eltern und ihre Schulfreunde am Gymnasium, mit denen sie im nächsten Schuljahr in die elfte Klasse kommt. "In den vergangenen Jahren haben sich Silkes Leistungen unter diesen Bedingungen konstant gesteigert - warum sollten wir etwas ändern", sagt Gremmer. Deshalb wird Lippok auch in den nächsten beiden Jahren ihr Umfeld nicht verlassen. "Das ist neben der Disziplin mein Erfolgsgeheimnis", sagt sie.

Wenn große Wettkämpfe anstehen, geht Lippok ohnehin immer für zwei bis drei Wochen in den Olympia-Stützpunkt nach Heidelberg, um ein Gefühl für die 50-Meter-Bahnen zu bekommen. Das nächste große Ziel sind die Olympischen Spiele 2012 in London. "Wenn alles so weitergeht wie bisher, ist da was drin", sagt Lippok.

Immerhin muss sie auf dem Weg dahin nicht mehr jenes Ritual über sich ergehen lassen, das jedem Schwimmer bei der Aufnahme ins Nationalteam blüht: Er muss für einen Tag eine Aufgabe, vorgegeben von den Etablierten, erfüllen. Lippok musste sich in Heidelberg in Leoparden-Leggins und blau-pinkfarbenen Strähnchen bei Betrieben als Arbeitskraft bewerben. Völlig überraschend hat's nicht geklappt beim Bäcker oder Metzger. Dafür gab's wenig später drei Medaillen in Budapest. "Eine nette Entschädigung", sagt Ralf Gremmer und lacht.