Ursula Maier mit einem Säugling, der im Krankenhaus noch gepflegt werden muss. Ihre Sprechstunden im kleinen Holy Family Hospital im Herzen Ghanas sind täglich ausgebucht. Fotos: Gebert Foto: Schwarzwälder-Bote

Kinderärztin und Missionsschwester Ursula Maier leistet enormes Pensum in kleiner Kinderklinik in Ghana

Schramberg (er). Ein fester Bestandteil im interkulturellen Jahresprogramm ist inzwischen das Eine-Welt-Wochenende, diesmal am 27./28. September in der "Little Glocal City Schramberg". In unserer Serie erläutern die Beteiligten ihre Aufgaben und Ziele:

Ursula Maier umschließt mit Daumen und Mittelfinger den Oberarm des Säuglings. Ein einfacher Test, der sofort signalisiert: Das Kind ist unterernährt. Sein dünnes Ärmchen füllt das Finger-Maßband der Kinderärztin nicht annähernd aus. "Ich weiß, dass Ihnen die Zeit hier im Krankenhaus lang wird", wendet sich Ursu- la Maier verständnisvoll an die ungeduldige Mutter. "Aber Sie müssen noch ein Weilchen bleiben. Das Kind muss Gewicht zulegen, bevor ich Sie nach Hause lassen kann." Sie streicht dem Jungen über das winzige Köpfchen, schenkt der Mutter einen aufmunternden Blick, gibt schnell die nötigen Anweisungen an die Krankenschwestern weiter und wendet sich dem nächsten kleinen Patienten zu. Sein Brustkorb hebt und senkt sich schnell. Mit dem Stethoskop hört Ursula Maier ihn ab. "Ich glaube, da ist ein Herzgeräusch", sagt sie und beugt sich näher zum Kind.

Viel Zeit bleibt der Ärztin und Missionsärztlichen Schwester nicht für den einzelnen Patienten, zu viele warten in der Kinderstation, der Ambulanz, der Notaufnahme und im Frühchenzimmer auf sie. Die 43-Jährige arbeitet hoch konzentriert, schnell und aufmerksam. Anders ist das Tagespensum nicht zu bewältigen.

6000 Kinder kommen jähr- lich im Holy Family Hospital in Techiman, im Zentrum Ghanas, zur Welt. 150 Kran- kenbesuche stehen täglich an. Die Kinderstation mit 60 Betten ist ausgelastet, oft teilen sich die jungen Patienten ein Bett. Das Arbeitspensum von Ursula Maier ist immens hoch und führt die gebürtige Schrambergerin immer wieder an ihre Belastungsgrenze, aber sie weiß auch, dass ihr unermüdlicher Einsatz in Te- chiman schon viel bewirkt hat. Vor knapp vier Jahren hat die Kinderärztin aus Schram berg ihre Arbeit in Ghana aufgenommen. Den Entschluss hat sie nicht bereut, "auch wenn vieles am Anfang sehr, sehr hart war und ich auch jetzt noch nicht mit allem klar komme", sagt sie.

Als Ursula Maier ins Holy Family Hospital kam, war die Kinderstation sehr vernachlässigt. Es gab keine passende Aids- und Krebsbehandlung für Kinder, keine geeigneten Magensonden und Spezial- nahrung für Unterernährte. Viele Frühgeborene trockne- ten aus, die Kindersterblichkeit war sehr hoch.

In einem Bericht aus dem Jahr 2010 schrieb Ursula Maier, dass es für sie als deutsche Ärztin eine enorme Umstellung bedeutete, in einem Entwicklungsland zu praktizieren. Es sei schwer zu verstehen und zu akzeptieren, dass Kinder in großer Zahl aufgrund von Tatsachen sterben, die vermeidbar gewesen wären.

So schreibt sie: "Ich kann einfach nicht zugucken, wenn täglich Kinder sterben wie die Fliegen, nur weil das Absaugegerät nicht funktioniert, kein Ambobeutel da ist oder andere Kleinigkeiten fehlen, die in Deutschland ganz normal sind. Im Durchschnitt stirbt ein Kind alle zwei Tage, auf der Neugeborenenstation haben wir 21 Prozent Sterberate, meist aufgrund von Sauerstoffmangel während der Geburt." Vieles hat sich seit dem verändert.

Die neu eingerichtete Kinderstation ist sauber und hell, Krankenschwestern kochen für unterernährte Kinder eine Eiweiß- und Kalorien-haltige Spezialnahrung nach einem Rezept der Weltgesundheitsorganisation. Alle drei Stunden führen sie den Frühchen Flüssigkeit zu, päppeln sie mit Hilfe von Brutkästen auf. "Mir ist vor allem wichtig, dass wir den Kindern beistehen, sie trösten und ihnen die Angst nehmen", sagt Ursula Maier.

Ungeduld mit Kindern duldet sie nicht. "Unsere Aufgabe ist es vor allem, die Schwachen und Kranken unter ihnen zu stützen, die es in der Gesellschaft schon schwer genug haben. Ihnen möchte sie Zuwendung schenken. Jede Liebe zählt, und wenn sie nur für fünf Minuten ist", sagt die Missionsärztliche Schwester. Baustellen gibt es im Kranken haus noch genug: zu wenig Fachpersonal, zu wenig gute, medizinische Geräte und Platzprobleme.

Vermittler zwischen Mensch und Geisterwelt

Doch was die Kinderärztin am meisten belastet, worauf sie nicht vorbereitet war, ist der andere Umgang mit Krankheit, Behinderung und Schuld in der fremden Kultur. Überall begegnet ihr der Glaube an Geister, er ist eine soziale Realität. Ursula Maier weiß, dass es viel schwieriger und langwieriger ist, Veränderungen in den Köpfen zu bewirken als Arbeitsabläufe im Krankenhausalltag umzustellen.

So kämpft sie als Ärztin auch gegen die kulturellen Gegebenheiten und die teilweise religiösen Eigenheiten des Landes an: "Der Glaube an Hexerei ist ein ganz großes Problem in Ghana. Ein behindertes Kind wird von den Einheimischen nicht als Mensch betrachtet, sondern etwa als Schlange. Ein Kind hatte an einem Fuß einen muskulären Klumpfuß, was eigentlich kein Problem ist. Aber die Mutter nahm das Kind mit zu einem Wunderheiler, der ihm wahrscheinlich giftige Kräuter verabreichte, und kam abends mit einem fast toten Kind wieder. Die Mutter war sehr happy, als das Kind starb – das ist dann wohl ein Zeichen, dass das Kind vom Teufel stammt!"

Aus Ursula Maiers Briefen geht hervor, dass es für sie als Ärztin schwer ist, eine solche Denk- und Lebensweise zu verstehen und zu akzeptieren.

Unermüdlich für die kranken Kinder

Motivation für ihre Arbeit schöpft Ursula Maier aus ihrem Glauben und auch aus den Erfolgen der letzten Jahre. So konnte die Kindersterblichkeit halbiert werden, auch die AIDS-Vorsorge und -Aufklärung zeigt erste Erfolge.

"Wir haben jetzt einen zusätzlichen Diätassistenten bekommen und somit unsere Langzeitergebnisse für die unterernährten Kinder verbessern können und werden auch mehr in die Vorbeugung gehen", schreibt sie in ihrem jüngsten Brief. Und: "Unser nächstes Projekt ist die Produktion einer DVD mit medizinischen Themen wie: gesunde Ernährung, Vermeidung von HIV-Übertragung von Mutter zu Kind, Vermeidung von Blutarmut und damit der Notwendigkeit der Bluttransfusion, Epilepsie als normale Krankheit und keine Verfluchung, normale Geburt, Behinderung als Zeichen von Menschlichkeit, Hygiene und Hände waschen, und ähnliches. Es gibt einfach zu wenig Wissen über Hintergründe, den Körper und Lebensstil-Gesundheits-Zusammenhänge und in allen Wartebereichen und Stationen gibt es sowieso Fernseher, warum also nicht die Zeit nutzen?

In einem Jahr soll die Neugeborenenstation mehr Räume hinzubekommen. Dann werden auch hoffentlich die chaotischen Zustände, dass teilweise 50 bis 60 Kinder in der Notfallaufnahme sind und sich zum Teil zu dritt eine Matratze auf dem Boden teilen, der Vergangenheit angehören.

Ursula Maier ist dankbar für die Hilfe aus der Heimat. Viele Einzelspender aus der Raumschaft Schramberg und die Kolpingfamilie Schramberg unterstützen sie seit Jahren.

"Alles ist relativ im Leben, auch die Fortschritte, die wir hier machen erscheinen vielleicht klein, aber für uns sind sie von unschätzbarem Wert, auch wenn ich weiß, dass es immer nur Tropfen sein können und ich Prioritäten setzen muss. Trotzdem kann ich sagen, dass die Qualität der medizinischen Versorgung bei allen Rückschlägen und Unwägbarkeiten angestiegen ist."

Weitere Informationen: www.ursula-maier-ghana.de.

u Zehn verschiedene Hilfs- und Partnerschaftsprojekte gibt es in Schramberg, die sich am Eine-Welt-Wochenende Ende September im Gymnasium beteiligen (wir berichteten). Sie arbeiten alle unter dem Dach des Eine-Welt-Forums Schramberg. Damit die Bürger deren Arbeit besser kennen lernen können, haben die Organisationen im Vorfeld die Möglichkeit, sich in eigenen Beiträgen, auch mit Bild, in unserer Zeitung vorzustellen.

u  Zusendungen bitte per Mail an die Adresse redaktion-schramberg@schwarzwaelder-bote.de. (er)