Ein Zug mit Soldaten auf dem Bahnhof in Schramberg zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Ganz rechts ist auf dem Eisenbahnwaggon eine von mehreren zeittypischen Parolen zu lesen: "Große Metzelsuppe in Paris mit neuem Sauerkraut". Foto: Stadtarchiv Schramberg Foto: Schwarzwälder-Bote

Der Raum Schramberg im Ersten Weltkrieg / Serie des Stadtarchivs Schramberg und des Schwarzwälder Boten / Teil 1

Von Carsten Kohlmann

Schramberg. Auf dem Gelände des heutigen Kauflandmarktes nahmen bei Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren auf dem damaligen Bahnhof Hunderte von Soldaten von ihren Familien Abschied.

Von 1914 bis 1918 wurden etwa 2500 Schramberger zum Kriegsdienst eingezogen, von denen jeder Sechste seine Heimat nicht mehr wiedersehen sollte. Ohne den Kriegsausbruch hätten die Stadt Schramberg und ihre Bürgerschaft vor 100 Jahren eigentlich einen sehr schönen Sommer vor sich gehabt.

Die aufstrebende Stadt befand sich auf dem Höhepunkt ihrer Blüte im Zeitalter der Industrialisierung und hatte ein halbes Jahr zuvor als Symbol des Bürgerstolzes ein neues Rathaus eingeweiht. Für Herbst 1914 war die Einweihung der Heilig-Geist-Kirche geplant. Der Gemeinderat und der Bürgerausschuss berieten über den Bau eines neuen Krankenhauses. Die Uhrenfabriken Gebrüder Junghans AG waren auf die Eröffnung einer Niederlassung in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires stolz. Beim Gaufest der Stadtkapellen am 12. Juli 1914 in Schwenningen am Neckar konnte sich die Stadtmusik über den ersten Preis in der obersten Stufe erfreuen und wurde nach ihrer Rückkehr von der Bürgerschaft begeistert empfangen.

Mitten in diese positive Stimmung brachte die Nachricht von der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Ehefrau Sonja am 28. Juni 1914 eine wachsende Verunsicherung über die Entwicklung der politischen Lage. In einer bemerkenswert klaren Analyse warnte der Redakteur Josef Eichinger (1865 bis 1938) im "Schwarzwälder Tagblatt" davor, dass sich Europa binnen kurzem "in hellem Kriegsbrand" befinden könnte. Er brachte voller Sorge seine Hoffnung zum Ausdruck, "daß es der Einsicht der Fürsten und dem Geschick der Diplomaten gelingen wird, die Gefahr eines europäischen Krieges zu beseitigen, dessen Schrecken und Grauen nur geahnt werden können und der von den unheilvollsten Folgen begleitet würde." Der letzte Satz ist bemerkenswert, zeigt er doch, dass längst nicht alle der damaligen Zeitgenossen nach dem aktuellen Titel des Buches des Historikers Christopher Clark wie die "Schlafwandler" in den Ersten Weltkrieg gestolpert sind.

Auch nach der Bekanntgabe der Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Russland und der Generalmobilmachung ist die Stimmung differenziert einzuschätzen. Einerseits wurde die Bevölkerung von einem allgemeinen Patriotismus erfasst, wie er in dem Aufruf "Fürs Vaterland" des katholischen Zentrumspolitikers und Landtagsabgeordneten Josef Andre (1879 bis 1950) aus Schramberg deutlich wird: "Es gilt, das Vaterland zu verteidigen […] Unsere Soldaten können mit dem beruhigenden Bewusstsein in’s Feld ziehen, daß sie für eine große und gerechte Sache kämpfen […] Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern; in keiner Not uns trennen, noch Gefahr."

Andererseits wird in den Presseberichten auch deutlich, dass die Stimmung sehr ernst war, die Frauen der einberufenen Männer oft mit "Bestürzung" reagierten und sich "herzzerreißende Abschiedsszenen" ereigneten. Die nationalen Vereine fielen aber bald in die allgemeine Kriegsbegeisterung ein.

Am 3. August 1914 versammelten sich über Tausend Bürger am Kriegerdenkmal bei der katholischen Pfarrkirche Sankt Maria zu einer patriotischen Kundgebung, bei der Geheimrat Arthur Junghans (1852 bis 1920) eine Rede hielt. Etwa 200 junge Bürger meldeten sich binnen weniger Tage freiwillig zu den Waffen. In den ersten Augusttagen zogen die Einberufenen bei Tag und Nacht zu Hunderten in Begleitung von Stadtmusik und Militär- und Veteranenverein zum Bahnhof. Die dort herrschende Stimmung geht aus einem zeitgenössischen Pressebericht anschaulich hervor: "Tücherschwenken, Händedrücken und schon sind sie entführt. Wann werden sie wiederkommen?"

Am 5. August 1914 trafen sich über 200 Soldaten aus Schramberg zu einem "Abschiedsschoppen" in einem Gasthaus am alten Postplatz in der württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart, das von einem ehemaligen Schramberger geführt wurde.

Josef Andre, der schon länger in Stuttgart wohnte, wandte sich in einer Ansprache an die Versammlung. Wie überschwänglich die Stimmung war, zeigt sich in der Aussage eines Teilnehmers, "die Schramberger sollten überall mit den Gewehrkolben die Uhren herunterhauen, damit nach dem Krieg das Geschäft wieder blühe."

Nur wenige Tage später traf in Schramberg die Nachricht über den ersten Gefallenen ein. Tobias Fichter (1889 bis 1914), ein Sohn des Landwirtes David Fichter (1857 bis 1907) aus dem Finsterbach, wurde bei den Kämpfen um Sennheim im Elsass getötet.