Plisseepresser Ullrich Wendel veredelt Stoffe mit besonderer Optik / Altes Handwerk ist der Computertechnik gewichen

Von Barbara Czimmer-Gauss

Suttgart. Wenn es mit den Griechen so weitergeht, bleibt ihnen bald nichts mehr außer dem Rock am Leib. Ist er Teil der hellenischen Tracht, dann ist er kurz, weiß und plissiert. Der Grieche geht sozusagen im verschwenderischen Habit unter. Denn es ist aufwendig, einem Stoff Falten zu verpassen.

Das zeigt sich im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt in der einzigen Plisseemanufaktur des Landes. Ullrich Wendel holt aus einem raumhohen Regal ein meterlanges Stück Pappe. Es ist gefaltet wie eine Ziehharmonika und mit Stoffstreifen zusammengebunden. Wendel löst die Schleifen und zieht mit einer Armbewegung die Pappe auseinander. Das sind sie, die Formen, die man zum Plissieren benötigt. "Das ist ein Sonnenplissee", sagt der Handwerker, "wegen des radialen Zuschnitts." Es könnte einem weit und leicht schwingenden Faltenrock Form geben.

Wenn der Plisseepresser die Pappform loslässt, schnurrt sie zusammen. Deshalb muss Ullrich Wendel die Kanten mit Gewichten beschweren, drei Kilo rechts und links. Über die Papierfalten breitet er einen weichen, fließenden Stoff, darüber kommt einen zweiter Pappfächer.

Seine Frau Sybille beginnt, mit flinken Fingerbewegungen Falte für Falte zusammenzuraffen, bis die Ziehharmonika wieder so eng zusammengeschoben ist wie bei einem zugeklappten Fächer. Der erste Arbeitsschritt ist getan.

Mit dem Falten der Stoffe allein ist es aber nicht getan. Anders als im Gesicht sollen diese Falten Bestand haben. Ullrich Wendel öffnet die Edelstahltür eines riesigen Ofens. Er heizt den Pappfächern von oben, unten und den Seiten mit mehr als 100 Grad Celsius heißem Dampf ein. "Das braucht schon einige Stunden, bis die Falten durch Hitze und Druck fixiert sind." Bei Seide geht’s schneller, bei Polyester langsamer, "es gehört viel Erfahrung dazu, die richtigen Zeiten und Formen zu bestimmen".

Diese Erfahrung hat Wendel bei seinem Lehrmeister Hans Kusterer gewonnen. 1984 wollte Kusterer seinen Betrieb eigentlich aufgeben. Doch da begegnete er Wendel, der bis dahin in der Maschinenbaubranche tätig war. Bei dem Zusammentreffen erkannte er seine Chance als Quereinsteiger mit der Manufaktur eigene Akzente in der Textilwelt zu setzen. 2009 übernahm er schließlich den kleinen Betrieb.

"Jetzt sind wir Zulieferer für die Damenoberbekleidungsindustrie, für Theater und Privatleute", sagt Wendel. Modeschülerinnen kämen zu ihm, Ateliers, Kostümbildner, "die bestellen eher kleine Mengen". Früher waren Auftragsumfänge für ein paar Tausend Kleidungsstücke noch eher die Regel, doch in den 80-er Jahren wanderten viele Textilbetriebe ab. Das sei ein Grund, weshalb dieses Handwerk niemand mehr ausübt. Zum anderen falten die großen Textilunternehmen ihre Falten selbst und maschinell, überwacht von Textilingenieuren.

Trotzdem stehen bei Ullrich Wendel so viele Aufträge für Zuschnitte oder Meterware an, dass eine Pappform nicht ausreichen würde. Mehrere Hundert lagern in seiner Werkstatt, darunter auch die unterschiedlichsten Formen für allerhand Falten: Tollfalten, Stehfalten, Liegefalten zum Beispiel oder die Crash-Optik, die jetzt wieder "en vogue" ist und Glättefanatiker bügelwütig macht. Manche Falten kann Wendel auch mit seiner Plisseemaschine machen, die computergesteuert, aber nach demselben Prinzip funktioniert.

Die Eigenschaften der Stoffe sind ständig im Wandel. Deshalb plissieren Wendels oftmals probehalber neue Stoffe; anschließend macht sich der Plisseepresser mit seinem Musterkoffer auf und zeigt den Konfektionären, welche Falten für das geplante Material und die von der Designerin entworfene Silhouette passend wären. "Im Kreativbereich müssen sie viel einbringen, wissen aber nicht, ob ihr toller Prototyp umgesetzt wird", sagt Wendelt. Einmal hat er eine Crashform für Hosen entwickelt; das Beinkleid wurde in Tausenderstückzahlen produziert.

Wenn die Zeit im Dampfofen um ist, muss das Plissee in der Form luftig lagern und trocknen. Beim Öffnen der Form zeigt sich dann, ob ein Meister am Werk war.