Ein dicker Wälzer ist die erste Staatsexamens-Arbeit der Schörzingerin Katja Sautter. Foto: Deckert Foto: Schwarzwälder-Bote

Geschichtsunterricht aus der Tageszeitung: Referendarin Katja Sautter hat die Berichterstattung über die Wüste-Werke untersucht

Von Sabrina Deckert

Schömberg-Schörzingen. Geschichte sei auch der "Boden, auf dem wir stehen", sagte der Theologe Heinz von Keler. Katja Sautter, Lehramtsreferendarin aus Schörzingen, hat sich in ihrer Arbeit fürs Staatsexamen den lokalen "Boden" angeschaut. Präziser: die Aufarbeitung des "Unternehmens Wüste" in der lokalen Presse.

"Das Unternehmen Wüste im Spiegel der lokalen Nachkriegspresse und didaktische Überlegungen zum Thema im Geschichtsunterricht der Realschule" – ein Bandwurm-Titel. Drei Monate lang beschäftigte sich die 24-Jährige mit rund 360 Zeitungsartikeln der lokalen Presse von 1945 bis 2010. Unter anderem konnte sie auch auf eine Sammlung von Zeitungsartikeln im Kreisarchiv Balingen zurückgreifen.

Die Nazi-Zeit – ein Klassiker für Abschlussarbeiten, könnte man jetzt denken. Das trifft in diesem Fall nicht ganz zu. Katja Sautter hat sich nicht auf die Suche nach großen Zusammenhängen, Verschwörungstheorien, Schuldigen gemacht, wie Generationen von Studenten vor ihr.

Sie wollte regionalbezogen arbeiten – vor der eigenen Haustür kehren: Wie sind die Tageszeitungen im heutigen Zollernalbkreis, in Nehren und Zepfenhahn, in der Zeit zwischen 1945 und 2010 mit dem Thema Konzentrationslager in ihrem Verbreitungsgebiet und der Operation Wüste umgegangen? Haben sie aufgearbeitet, vertuscht, beschönigt? Waren sie Sprachrohr?

Eines sei vorweggenommen: Ein generelles Urteil über die komplette Zeitspanne kann nicht gefällt werden, vielmehr ist es von Jahrzehnt zu Jahrzehnt unterschiedlich. Nur eines kann Katja Sautter mit Gewissheit sagen: "Hier bei uns ist die Aufarbeitung ein bisschen später erfolgt als im Rest von Deutschland."

Aber zurück zum Anfang: 1945 wurden, nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, die zehn Wüste-Werke und sieben Lager von den Alliierten befreit.

Ab 1946 forcierte "die französische Besatzungsmacht ein gesteuertes Nebeneinander von politisch unabhängigen und überparteilichen Zeitungen", ist in Katja Sautters Arbeit zu lesen.

"Am Anfang habe ich nach Ereignissen gesucht, die eine Berichterstattung über die Wüste-Werke und Lager ausgelöst haben könnten", erinnert sich Katja Sautter. Dazu gehören die Exhumierungen der Massengräber, die Rastatter Prozesse, die Hechinger Prozesse, Verhaftungen.

"Das Böse wurdean den Personenfestgemacht"

"Dann habe ich die Zeit in fünf Etappen eingeteilt", so die Autorin. In der Zeit zwischen 1945 und 1949 habe sie viele Artikel gefunden. "Die französischen Besatzer haben vermutlich einen großen Einfluss auf die Redakteure ausgeübt und kontrolliert, was sie geschrieben haben", hat Katja Sautter herausgefunden. Das heißt, dass die damalige Presse bewusst die Grausamkeiten, die in den Lagern passiert sind, besonders hervorgehoben hat. Außerdem wurde die Bevölkerung in den Berichten für das Geschehene mitverantwortlich gemacht.

In der Zeit der Rastatter Prozesse, 1946 bis 1954, habe es viele Berichte über die Gerichtsverhandlungen gegeben. "Der Unterschied dabei ist, dass nicht mehr alle Deutschen als Mittäter dargestellt werden, sondern einzelne Personen, Wärter, Aufseher, wertend porträtiert worden sind", erklärt Sautter. "Das Böse wurde an den Personen festgemacht."

In den 1960er-Jahren hatte dann Hechingen große Nazi-Prozesse. "Mord konnte damals verjähren. Und weil man die Täter nicht ungestraft entkommen lassen wollte, gab es in einigen Städten Prozesse", so Sautter.

Auf die Berichterstattung der lokalen Presse hatten die Hechinger Prozesse enorme Auswirkungen: "Es wurde auf einmal sachlich über die Verhandlungen berichtet. Neutral, ausführlich, mehr Fakten, weniger Emotionen", erklärt die 24-Jährige. "Möglich wäre, dass das nur in diesem Umfang passiert ist, weil die überrgegionale Presse über die Prozesse berichtet hat und die Lokalen sich nicht abhängen lassen wollten."

Nachdem die Prozesse 1966 beendet waren, ebbte die Berichterstattung über das Unternehmen Wüste ab: "In den 1970er-Jahren haben sich nur bestimmte, oft intellektuelle Kreise mit der Nazi-Zeit auseinandergesetzt.

Bis 1980 findet man nur sehr wenig in den lokalen Zeitungen. In diese Zeit kam die zweite Welle des Verdrängens hier unten an", sagt Katja Sautter. Berichtet wurde bis in die 1990er-Jahre beinahe ausschließlich über Gedenkveranstaltungen. "Meist im Mai oder im November wurde berichtet", hat Katja Sautter bei ihren Recherchen herausgefunden.

Das persönliche Fazit? "Bei manchen Artikeln fiel es mir schwer, weiterzulesen. So viele grausame Details und Geschichten habe ich da gefunden. Aber aufgeben? Nein, das wollte ich nie. Es muss ja aufgearbeitet werden. Und ich wollte etwas schreiben, was es in dieser Form für diese Region nicht gibt."

Das Unternehmen "Wüste" wurde in der letzten Kriegsphase ab Juli 1944 am Rand der Schwäbischen Alb initiiert. Ziel war es, aus dem Ölschiefer der Schwäbischen Alb Öl zu gewinnen. Es gab zehn dieser Wüste-Werke, jeweils eines in Nehren, Wessingen-Bisingen, Engstlatt, Erzingen, Dormettingen West/Erzingen West, Dormettingen-Mitte, Dormettingen-Nord, Dormettingen Süd, Schömberg und Zepfenhan.

Die Arbeiter wurden in Wüste-Lagern in Schömberg, Schörzingen, Bisingen, Frommern, Erzingen, Dautmergen und Dormettingen untergebracht. Die beiden größten Lager waren Bisingen und Dautmergen mit jeweils zwischen 3000 und 4000 Arbeitern. Bis zur Befreiung durch die Alliierten saßen rund 12 500 Häftlinge in den sieben Lagern. Die Erwartungen, die an das Unternehmen Wüste von Seiten der Nazis gestellt worden waren, konnten nicht erfüllt werden: Nur in vier der zehn Werke lief die Öl-Produktion an – der Ertrag war allerdings weit unter dem, was sich die Lagerleitungen erhofft hatten. 3480 Tote wurden aus den Massengräbern der Lager exhumiert. Wie viele Menschen wirklich gestorben sind, kann nicht mehr festgestellt werden.