"Schiltacher Burgerlied" stammt ursprünglich aus Schwaben / Bahnarbeiter brachten es wohl um 1880 mit

Von Hans Harter

Schiltach. "Auf, auf, ihr Burger, schtoant ins Gwehr" – beim Schiltacher Stadtfest wurde es wieder angestimmt, das früher populäre "Burgerlied". Die Spieler des Eisenbahntheaters bauten es in ihr Stück ein, und nicht wenige sangen mit, eingedenk seiner letzten Aufführung 1951, gleichfalls auf dem Marktplatz.

Damals Stoff für ein großes Fasnetspiel, ein erstes Gemeinschaftserlebnis in der Nachkriegszeit, begleitete das Lied dieses Mal die Szenen um den Bahnbau der 1880er-Jahre. Das passt in den historischen Kontext: Obwohl "Schiltacher Burgerlied" genannt, kam es durch Württemberger hierher. Neben Tirolern, Italienern, Böhmen und Bayern stellten sie das Gros der Bahnarbeiter, die Schiltach damals bevölkerten. Auch die Ingenieure und Geometer stammten aus Württemberg, das die Strecke von Freudenstadt bis zum Bahnhof Schiltach erbaute.

Abendlicher Treffpunkt der Arbeiter war die "Krone" am Marktplatz, heute bekannt als Haus Muckle. Ihre Beschäftigung: Zechen, Cego, Kegeln, Tanz und Gesang. Lange noch wurde von den "Gesellschaftsabenden" erzählt, von ihrem geselligen Frohsinn, ihrer anheimelnden Gemütlichkeit.

Hier mögen Württemberger auch das bei ihnen verbreitete "Belagerungslied" vorgetragen haben. Es stammt aus dem Jahr 1819, gedichtet hat es Karl Borromäus Weitzmann (1767-1828) aus Munderkingen an der Donau. Er war im benachbarten Ehingen als Jurist tätig, in seiner Freizeit als Dichter. Dabei scheute er sich nicht, zu schreiben wie er sprach: derb schwäbisch, so dass er in Württemberg als einer der Väter der Dialektdichtung gilt. Seiner Heimat in einer Art Hassliebe verbunden, verhöhnte er die Munderkinger mit sarkastischen Humor, der auf die geistig engen Verhältnisse der damaligen Kleinstädte zielte. Ein solches Spottlied war "Der Ausfall der Munderkinger im Jahre 1798", so der Originaltitel, der eine Episode der französischen Revolutionskriege persifliert. Wie die Hornberger bei ihrem Schießen, hatten auch die Munderkinger etwas verwechselt, nämlich ein Kavallerie-Manöver vor ihrer Stadt mit einem Angriff der Franzosen. Dem begegneten sie mit allen nur möglichen Vorkehrungen: "Auf, auf, ihr Burger, schtoant ins Gwehr… Ihr Burger, fasset Muet un Lischt… Un dien au glei die Schpritze raus… Un kunnt e graußi Bummerkugel… D’r Burgermoaschter got vora…" Dass der Spott von einem der ihrigen kam, erboste die Munderkinger so, dass sie – schimpfend und fluchend – einen Strohmann von Weitzmanns Gestalt in die Donau versenkten. Als dieser einige Zeit später persönlich vorbeikam, musste er schleunigst den Rückzug antreten, um nicht nachträglich noch über die Brücke geworfen zu werden. Dies tat dem Siegeszug des Lieds keinen Abbruch, sondern begründete die Popularität des Dichters erst recht. Trotz einiger Derbheiten gehört es zu der Sorte erzählender, humorvoller Gedichte, die ob ihres Witzes in aller Munde waren. Poetischer Dialekt, wie er selten gelungen ist. Ausgestattet mit einfachem Versmaß und eingängiger Melodie, kamen Strophen mit "Volkswahrheiten" und Neckereien dazu: "Wenn uener e stuenige Acker hot… Wenn uener oachine Hose hot … Ihr Leit, ihr Leit, dean ’s Brot eweg…"

Dass das Lied in Schiltach heimisch wurde, hängt mit der Württemberger Vergangenheit und dem Schwäbischen zusammen, die es leicht annehmen ließen. In Wolfach war die Dichtung von Weitzmann die Vorlage für ein Fasnetspiel, das 1865 und 1913 als "Munderkinger Landsturm" aufgeführt wurde. In Munderkingen selber hat man inzwischen Frieden mit dem Dichter geschlossen: Er zählt zu den dortigen Persönlichkeiten, und sein "Belagerungslied" erklingt alljährlich an der Fasnet. Als "Burgerlied" gehört es auch in Villingen zur Tradition, wo es gleichfalls mit Inbrunst gesungen wird. Vielleicht auch wieder in Schiltach? Hinweis: Das "Schiltacher Burgerlied" steht im Büchle "Lieder und Gedichte", erhältlich im Rathaus.