Der Turnverein Schiltach bei der Fahnenweihe am 11. Juni 1911 Foto: Schwarzwälder-Bote

Turnverein feiert Fahnenweihe / Zur Festkultur vor dem Ersten Weltkrieg / Foto taucht erst in jüngster Zeit auf

Von Hans Harter

Schiltach. Die Fahnenweihe des Turnvereins Schiltach im Jahr 1911 war ein großer Tag für die Stadt.

"Unsere Stadt hatte ihren schönsten Festschmuck angelegt, alle Häuser waren reich bekränzt und beflaggt, Ehrenpforten zierten die Ortseingänge", schrieb die damalige Zeitung "Der Kinzigtäler" zu diesem Fest.

Glanzpunkt war die Stadtbrücke, die, elektrisch beleuchtet, abends "einen feenhaften Anblick bot" – eine Art Sommermärchen im Schiltach des Jahres 1911. Und so kamen sie, aus Sulz, Freudenstadt, Lauterbach, Schramberg, Rötenbach, Donaueschingen, Gutach, Hornberg, Schenkenzell, Hüfingen, Nußbach, Schonach, Triberg, Schönwald, St. Georgen, Villingen und Wolfach – allesamt Turner, die den Frühzügen entstiegen und dem hiesigen Turnverein die Ehre erwiesen. Angesagt war die Fahnenweihe, ein Fest, das feierlich begangen wurde, galt die Fahne doch als Symbol der alle Mitglieder verbindenden Vereinsgemeinschaft.

Es dauerte, bis der 1900 gegründete TV Schiltach das Geld beisammen hatte und sich die aufwendig gestaltete Fahne leisten konnte: Der einheimische Kunstschüler und spätere Maler Eduard Trautwein (1893 bis 1978) entwarf sie unter Anleitung seines Lehrers Karl Eyth, ebenfalls Schiltacher und Professor an der Kunstgewerbeschule Karlsruhe. Eine Kunststickerei in Baden-Baden führte sie aus, wo man sie "als hervorragende Kunstleistung" ausstellte. Doch gingen die Meinungen auseinander, da sie "mit der traditionellen dekorativen Manier" brach und "modernen Anschauungen in eigentümlicher Weise Rechnung" trug.

Die in Schiltach versammelten Turner stellten sich zuerst einem "Wett-Turnen", mit Hermann Gebert von Schramberg als Sieger. Auch die Schiltacher Christoph Wolber, Abraham Aberle, Karl Ganter, Franz Hartmann, Christian Wolber und Fritz Bühler holten die Punkte für den begehrten Kranz aus Eichenlaub.

Nach dem Kirchgang formierte sich ein stattlicher Zug zum Festplatz beim Spritzenhaus. 70 Turner führten unter Musikbegleitung Freiübungen vor, dann begann der Festakt. Der Landtagsabgeordnete Hummel hob die Bedeutung "der Turnerei" für die Entstehung des Nationalgefühls hervor, wie auch "für das Volkswohl im Krieg und Frieden." Danach übergab Marie Engelmann, verheiratet Ernle, "mit einer poetischen Ansprache die Fahne, die Fähnrich Jakob Sum mit einer ebensolchen Danksagung entgegennahm."

Für die Lehengerichter "Ehrenjungfrauen" heftete Marie Bühler vom Hunersbach noch eine von ihnen "schön gestickte" Schleife daran. Danach ordnete der Schramberger "Hofphotograph" Karl Faist die Akteure zu einem Foto, das erst jüngst aufgetaucht ist: In der Mitte steht im festlichen Gehrock Vorstand Wilhelm Ziegler, Blechnermeister. Vor ihm sitzen fünf Turner, die einen Eichenkranz errangen, oben stehen die Fähnriche mit Schärpen und der neuen Fahne. Sie sind von 39 "Ehrenjungfrauen" umgeben, die zur damaligen Festkultur gehörten, als "Ehrengeleit" und mit poetischen Auftritten. Dafür haben sie sich herausgeputzt, gemäß ihrer Bezeichnung und Funktion: die von Schiltach als "Stadtdamen" in weißen Kleidern, die von Lehengericht in ihrer bäuerlichen Festtagstracht mit dem Schäppel, netterweise Blumensträußchen in der Hand. Ihre Zahl zeigt, wie verbreitet das Tragen der Tracht noch war.

Das Fest der Turner 1911 war hier eines der letzten Friedens-Ereignisse vor dem Ersten Weltkrieg, der mit 31 Gefallenen auch in ihre Reihen große Lücken schlug, darunter Vorstand Ziegler und Fähnrich Sum. Es fällt auf, wie feierlich-ernst sie alle in die Kamera schauen, vom heutigen "Cheese-Lächeln" weit entfernt.