Kenan hat seine Schultüte selbst gebastelt. Foto: Schmidtke Foto: Schwarzwälder-Bote

Schulanfang: Syrischer Junge geht bald in die erste Klasse / Familie lebt in der "Sonne" und ist nun zu sechst

Witzige Geister tanzen auf der blauen Schultüte von Kenan. Er hat sie im Kindergarten gebastelt. Der Schulranzen und ein Mäppchen sind gerichtet. Es kann losgehen.

Schenkenzell. Bald beginnt mit der ersten Klasse der Ernst des Lebens für den kleinen Kenan aus Syrien. Obwohl – den Ernst des Lebens kennt Kenan bereits von seiner Flucht aus Syrien nach Deutschland. Das Leben im Schwarzwald genießt der Kleine. Hier fallen keine Bomben. Hier hört er keine Schüsse, Detonationen, Schreie. Nur, als vergangene Woche Eurofighter in einer Übung über dem Schwarzwald dröhnend den Tiefflug probten, warf sich Kenan schreiend auf die Wiese, auf der er gerade gespielt hatte. Die Angst hockt tief, die dem Knirps in seiner Heimat Narben in die kleine Seele schnitt.

Im Kindergarten wird die deutsche Sprache spielerisch gelernt

"Nein Kenan, hier werfen die Flieger keine Bomben ab. Du bist sicher", wird er von den Erwachsenen beruhigt. Aufmerksam ist sein Blick, wissbegierig saugt er Neues auf. Im Kindergarten lernte er die deutsche Sprache und fand neue Freunde. Malen findet Kenan super. In der Bauecke in der Mäusegruppe spielte er gerne.

Im Kaltbrunner Sportclub kickt Kenan sogar aktiv bei den Kleinen. Sein Vater Mahmoud, er wird als Zeichen der Ehre, der Abu Kenan (Vater von Kenan) genannt. Mahmoud arbeitete in Syrien als Polizist. "Nur weil ich Polizist war, wollten mich der Daesh (IS-Kämpfer) und die Soldaten Bashar Alassads töten", erklärt er. Abu Kenan wäre – wie viele seiner Kollegen heute – tot, wenn er im Sommer 2014 nicht geflohen wäre.

Die Familie war in der Stadt Deir ez-Zor zuhause. Der Vater machte sich zunächst allein auf den Weg ins sichere Europa, seine Frau, Kenan und sein jüngerer Bruder Mohammad Seraj sollten auf sicherem Weg nachkommen. Mahmoud kam über die harte Balkanroute im September 2014 in München an. Mehrmals wurde er umquartiert, bis er in Karlsruhe landete. Im Sommer 2015 hielt es Amera, Kenans Mutter, nicht mehr in ihrer Heimat aus. Zudem war das Leben in Deir ez-Zor viel zu unsicher. Eine kleine Gruppe mit Flüchtlingen bildete sich. So zogen schließlich vier Erwachsene und elf Kinder zwischen einem und zwölf Jahren los. Amera trug Seraj, der damals zwei Jahre alt war. Kenan hielt die Mutter fest an der Hand. Den ganzen fast 4000 Kilometer langen Weg über.

Die Grenze zwischen Syrien und der Türkei konnte noch passiert werden. Im Boot überquerte die Gruppe die Ägäis nach Griechenland. Der Weg führte sie über Mazedonien und Serbien nach Kroatien, Slowenien, Österreich und endlich nach Deutschland.

Ganz langsam und sehr konzentriert spricht Amera von ihrer Flucht – auf Deutsch: "Es hatte auf der Balkanroute unglaublich viel geregnet. Die Kinder haben gefroren. Oft hatten sie nicht genug zu essen und haben geweint". Der damals fünfjährige Kenan lief mit seinen kurzen Beinchen mit. Blasen quälten ihn an den geschwollenen Füßen, die in viel zu schlechten Schuhen steckten.

Auf der Flucht hält der Junge die Hand der Mutter ganz fest

Den ganzen Weg über stapfte Kenan über mit, die feste Hand von Amera hielt ihn. Manchmal schliefen sie im Freien. Aber bald konnte der kleine Syrer seinen Papa sehen. Mahmoud, der Vater von Kenan, ist von der Statur her ein Bär von einem Mann. Als er seine Frau und die Buben endlich in seine Arme schließen konnte, da seien viele dicke Bärentränen geflossen, verrät Amera.

Im Dezember 2015 kam die Familie in die "Sonne" nach Schenkenzell. Alle lernen mit großem Eifer Deutsch. Kenan und Seraj lernen sie spielerisch – und viel schneller als die Großen. Regelmäßig betet Kenan mit seinem Papa. Das Ritual gibt den beiden Kraft.

Zwei kleine Zimmer bewohnt die fünfköpfige Familie in der "Sonne". Nun sind sie zu sechst. Vor zwei Monaten kam Brüderchen Muad zur Welt. Für den großen Bruder beginn nun ein neuer Lebensabschnitt – am Freitag, 16. September, hat Kenan seinen ersten Schultag.