Prozess: Körperverletzung und Bedrohung: Da zeigt sich ein Mensch, der nicht zu wissen scheint, dass ihm dringend geholfen werden muss

Kreis Rottweil. Ein Mann wie ein Baum, dessen Denken sich in guten Momenten immer wieder um den sorgsamen Umgang mit dem Lebenselexier Wasser dreht. Bei seinem mit viel Aufregung verbundenen schwierigen täglichen Streben versucht er seinen Standpunkten auch gerne mal mit Verweis auf "meine Rechte" Nachdruck zu verleihen. Allerdings nicht im juristischen Sinne. Eindruck hinterlässt er diesbezüglich viel mehr mit trockenen Geraden Marke Klitschko.

Die Rede ist von einem 61-Jährigen. Zu einem Teil seiner vielen strafrechtlich relevanten Umtriebe wird übermorgen, Montag, von der ersten Großen Strafkammer am Landgericht Rottweil das Urteil gesprochen.

Was dabei zu erwarten ist, liegt auf der Hand: Der psychisch kranke Mann soll in einer therapeutisch gut ausgestatteten Einrichtung so stabilisiert werden, dass er in vielleicht vier bis fünf Jahren sein eigentlich intelligentes Wesen so positiv entfalten kann, dass ein eigenständiges Leben möglich ist. Dies ist nicht nur nach Meinung des psychiatrischen Gutachters Charalabos Salabasidis die letzte Chance für den Mann, der vor 20 Jahren wegen der Folge familiärer Zerwürfnisse und geschäftlicher Misserfolge von der gesellschaftlichen Leiter ganz nach unten fiel.

Die heftigen Tiefschläge im Leben des 61-Jährigen hinterließen ab Mitte der 1990er-Jahre so tiefe Spuren, dass er seither in zahlreichen psychiatrischen Einrichtungen seine Visitenkarte abgegeben hat. Von Berlin bis Zürich, sagt er zu der rekordverdächtigen Zahl an Aufenthalten vor Gericht mit einem Schmunzeln im Gesicht, fast so, wie wenn sich ein kleiner Junge über eine Tüte Bonbons von der Oma freut.

Bricht die schizoaffektive Psychose, die immer wieder stark aus der Norm fallende Reaktionen wie Schläge und Beleidigungen bedingen, bei ihm in einer Weise durch, dass sämtliche Lampen ausgehen, der 61-Jährige also völlig unkontrolliert handelt und deshalb als schuldunfähig anzusehen ist? Oder ist da einer, der durchaus gut weiß, was es bedeutet, jemandem kurzerhand eine aufs Maul zu hauen? Einer, der nach depressiven Phasen aufgrund manisch bedingter Größenwahnanwandlungen so gestrickt ist, dass er für sich immer wieder ein Faustrecht beansprucht, um kurz mal reinen Tisch zu machen, wenn für ihn was krumm zu laufen scheint?

Vorsitzender Karl-Heinz Münzer und seine Beisitzer Daniel Scholze und Albrecht Trick diskutierten am jüngsten Verhandlungstag mit Gutachter Salabasidis leidenschaftlich über die zugrunde zu legende psychiatrische Einstufung, die mit ausschlaggebend sein wird für das anzustrebende therapeutische Konzept.

Wie verhaltensgestört der staatlich geprüfte Wassermeister heute manchmal unterwegs ist, zeigt auch ein im aktuellen Gerichtsverfahren nicht enthaltenes, weil dem Gericht erst im Verhandlungssaal bekannt gewordenes Vorkommnis von Mitte Mai dieses Jahres. Dem Bürgermeister seines Geburtsortes im Kreis Böblingen schlug der 61-jährige bei der Hochzeit dessen Sohnes kurzerhand ins Gesicht. Ein Kneipier habe ihn beim Besuch in seiner Heimatstadt auf das nur wenige Meter entfernt stattfindende Ereignis aufmerksam gemacht, erzählt der Mann vom wieder einmal in Anschlag gebrachten Einsatz seiner "Rechten" so locker und entspannt, wie wenn er mit einem alten Bekannten nur friedlich Kaffee getrunken hätte.

Wieso diese neuerliche Gewalttätigkeit, fragt ihn Richter Münzer. Der 61-jährige verweist auf zwei Brunnen, die seine Heimatgemeinde nach seinem Dafürhalten vor 20 Jahren bedauernswerterweise nicht weiter mit Quellwasser speisen ließ.

Wer aber eigentlich zuschlage, sei meist der bereits vor seiner Geburt verstorbene Opa, der führe ihm die Hand. Bei einem Drohschreiben habe sogar der Uropa sein Handeln bestimmt. Deshalb gebe es dort auch keine Unterschrift, sagt der Mann im Gerichtssaal treuherzig und scheint zu erwarten, dass es zu solchen Aussagen nichts zu Staunen gibt.

"Drei Bier würden mir jetzt reinlaufen", sagt er später zur puren Erheiterung aller im Gerichtssaal in Richtung des mühsam mit einem Taschenrechner operierenden Gutachters, der versucht, das Alkoholquantum aus "so etwa eineinhalb Litern Bier" für einen 100-Kilo-Mann in Promille umzurechnen.

Da zeigt sich der Angeklagte plötzlich als charmanter Plauderer, bei dem von einer schweren psychischen Erkrankung nichts zu erkennen ist. Auch deshalb ist es für die Kammer eine besondere Herausforderung, ein Urteil zu finden, das dem 61-jährigen doch noch den Weg zu einem selbstbestimmtem Leben in ruhigerem Fahrwasser ermöglicht.