Prozess: Erklärungsversuche der Tat gehen vor dem Landgericht weit auseinander

Kreis Rottweil. Sichtliche Überraschung beim Verteidiger: Im Prozess um versuchten Mord an einer Tuttlinger Ladenbesitzerin hat die Staatsanwältin gestern lebenslange Haft gefordert. Anschließend soll der 37-Jährige Tatverdächtige in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden. Dessen Verteidiger sieht aber trotz des brutalen Vorgehens des Angeklagten keine Anhaltspunkte für eine Tötungsabsicht. Er plädiert für sechs Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit schwerem Raub.

Am fünften Verhandlungstag halten Staatsanwältin, Nebenklägervertreterin und Verteidiger ihre Abschlussplädoyers vor der ersten Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil. Dabei gehen die Einschätzungen von Staatsanwältin und Verteidiger weit auseinander. Streitfrage bleibt, ob der Angeklagte die Ladeninhaberin tatsächlich töten wollte oder sich der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat.

Staatsanwältin zweifelt Erinnerungslücken an

Unbestritten ist, dass sich der Angeklagte am Nachmittag des 10. Novembers 2016 von der Inhaberin hat beraten lassen. Dann soll er die 39-Jährige mit einem Elektroschocker angegriffen haben, um die Ladenkasse auszurauben. Das hat der 37-Jährige bereits zum Prozessauftakt eingeräumt. Allerdings gibt er an, sich nicht daran erinnern zu können, der Einzelhändlerin mit einem Messer zweimal in den Hals geschnitten zu haben. Er könne sich außerdem nicht daran erinnern, sie gewürgt und mit einer Eisenstange massiv auf ihren Kopf eingeschlagen zu haben.

"Das stellt nur eine Schutzbehauptung dar", widerspricht die Staatsanwältin gestern. "Ich nehme dem Angeklagten diesen Blackout nicht ab", sagt sie weiter, "die ganzen Angaben sind in sich nicht schlüssig." So habe keiner der Zeugen ein auffälliges Verhalten des Angeklagten bemerkt, das auf starke Beeinträchtigungen durch Alkohol- oder Drogenkonsum hindeute. Bis kurz nach dem Einsatz des Elektroschockers könne sich der 37-Jährige detailliert erinnern. Er habe sehr zielgerichtet gehandelt. Eine schlüssige Erklärung für die plötzliche Erinnerungslücke gebe es nicht. Unklar bleibe auch, weshalb der Angeklagte nicht auf das Flehen der Ladeninhaberin hin mit dem Geld geflüchtet sei.

"Tatsächlich hat der Angeklagte die Tat gut vorbereitet", meint die Anklägerin. Unter anderem habe er nicht erklären können, weshalb er bei der Tat immer noch seine Arbeitskleidung getragen hatte – in den Taschen ein Cuttermesser und einen Elektroschocker. Die Staatsanwältin sieht drei Mordmerkmale erfüllt. Den Ladenraub habe der 37-Jährige aus Habgier geplant, außerdem habe er Kaufabsichten vorgetäuscht, um die Verkäuferin heimtückisch anzugreifen. Bei dem Raub müsse man ihm einen Tötungsvorsatz unterstellen. Und statt sich nach der Tat zu stellen, sei er nur Stunden danach unauffällig zur Arbeit erschienen.

Indes zeichnet der Verteidiger des 37-Jährigen das Bild eines "verwirrten Menschen". Dieser habe sich in der Ahnung, er habe eine Bluttat begangen, in die Normalität geflüchtet. Beschönigen wolle er die Tat auf keinen Fall, unterstreicht der Anwalt, der zur Zeit auch eine Nebenklage im NSU-Prozess führt. Allerdings habe es keinen Tötungsvorsatz gegeben.

Ein Urteil soll am Montag, 18. September, fallen.