Noch drei Monate läuft die Rohmilchverarbeitung im Werk Rottweil im Salinengebiet. Foto: Schickle

Beschäftigte zwischen Hoffen und Bangen. Desolates Omira-Jahr 2012 war für Rottweil-Niederlassung zu schwere Hypothek.

Rottweil - Knapp drei Monate noch, dann geht eine lange Tradition der Milchverarbeitung in Rottweil zu Ende. Die Nachricht von der Betriebsschließung aus der Ravensburger Omira-Zentrale vor fast genau einem Jahr traf die 120 Köpfe zählende Belegschaft wie einen Keulenschlag. Am 31. Oktober wird die Rottweiler Produktionsstätte endgültig stillgelegt. Die derzeit noch 108 Beschäftigten auf der Saline blicken diesem Zeitpunkt mit Angst und Bangen entgegen. Aber auch Hoffnung ist vorhanden.

Man wolle nicht "stempeln" gehen, hoffe – über die Arbeitsagentur, aber auch vielleicht über andere Wege –, sich neue Job-Chancen eröffnen zu können, sagt Eugen Siron. Er ist seit zwölf Jahren Betriebsratsvorsitzender, und meint, dass man sich die Entwicklung mit Schließung des Rottweiler Werks vor Bekanntwerden der bitteren Entscheidung nie habe träumen lassen. Mitte August 2013 aber stand die Hiobsbotschaft plötzlich im Raum. Dabei sei 2012 in Rottweil so viel wie noch nie an Frisch-, H-Milch und Sahne produziert worden.

Die frühere Geschäftsführung hatte in diesem Jahr, in dem bei Omira ein 15-Millionen-Euro-Defizit geschrieben wurde, offenbar mit großen Milchzukäufen auch aus entfernteren Regionen auf einen positiven Mengeneffekt gesetzt. Doch der Schuss ging nach hinten los, wegen der niederschmetternden Bilanz wurden die Geschäftsführer geschasst, mit dem Sanierer Ralph Wonnemann – inzwischen Geschäftsführer der Omira – übernahm ein Mann die Geschicke, dem trotz der bevorstehenden Werksschließung auch Beschäftigte in Rottweil und Landwirte aus der Region mit viel Respekt begegnen. Dies sagt auch Siron, der "die offene und ehrliche Art und Weise, und die Fairness" schätzt, mit der der Sanierer auch in Sachen Betriebsschließung Rottweil agiere.

Wonnemann musste 2013 bei Aufarbeitung des finanziellen Desasters in 2012 konstatieren, dass die frühere Geschäftspolitik des massiven Zukaufs und ein damit einhergehendes deutlich geringeres Milchgeld für die Landwirte, als es andere Verwerter zahlten, den Omira-Standort Rottweil nicht gerade stabilisiert hatte. Siron spricht gar von einem "Austrocknen": Nicht wenige Milchlieferanten in der Region seien abgesprungen. Wonnemann führte bei der Bekanntgabe des Schließungsbeschlusses im vergangenen Sommer als Begründung auch die weniger lukrative Produktschiene ins Feld. Hier stehe man im knallharten Wettbewerb mit Billigprodukten der Supermärkte.

Das Sortiment neu und zukunftsträchtig zu sortieren in den verbleibenden Werken in Ravensburg und Neuburg (Bayern) ist seit 2013 Kern des Sanierungskonzepts, für das der Omira-Konzern bis 2016 Investitionen in Höhe von 30 Millionen Euro tätigen will. Laufende Erfolgsmeldungen aus der Ravensburger Zentrale – bereits für 2013 wurde wieder ein positives Ergebnis von 4,7 Millionen Euro vermeldet – scheinen diesem Weg recht zu geben. Doch was wird aus den Beschäftigten in Rottweil?

Vielleicht zehn bis 15 hätten konkretere Aussichten auf einen neuen Job. Einige wenige haben den Absprung zu einer neuen Arbeitsstelle bereits geschafft. Doch wie ergeht es den anderen ab dem 1. November 2014?

Die Abfindungen, die sich im Rahmen des Sozialplans im fünf- und sechsstelligen Bereich bewegen sollen, scheinen vom Betriebsrat mit der Geschäftsführung nicht ganz schlecht ausgehandelt worden zu sein. Allerdings klagen sieben Beschäftigte vor dem Arbeitsgericht gegen ihre Kündigung. Dies wohl vor allem mit Blick auf die in ihren Augen doch nicht optimalen Abfindungsmodalitäten.

Wie sieht die Perspektive für die vor der Entlassung Stehenden aus? Was passiert, wenn das Einkommen plötzlich nicht mehr reicht, um zum Beispiel ein vor wenigen Jahren gebautes Haus zu finanzieren.

Der 59-jährige Siron hat die persönliche Situation vieler aus seinem Kollegenkreis im Kopf. Was soll der Einzelne tun? Das Angebot annehmen, künftig in Ravensburg oder Neuburg zu arbeiten? Etwa zehn liebäugeln mit einer Veränderung ins Ravensburger Werk. Einer habe sich sogar für Neuburg gemeldet.

Elf Beschäftigte sind bei Omira Rottweil über 20, 16 über 30, das Gros der Belegschaft bewegt sich zwischen 40 und 50 (39). 42 der 108 derzeitigen Rottweiler Omira-Beschäftigten sind sogar über 50 Jahre alt.

Der gelernte Molkereifachmann Siron ist bereits seit 44 Jahren im Betrieb, der früher einmal unter den Namen Milchwerk Rottweil und später unter Albmilch firmierte. Viele andere schauen ebenfalls auf eine lange Betriebszugehörigkeit. Wonnemann hält "das starke Rottweiler Team mit kompetenten Handwerkern, Milchfachleuten und Lkw- und Gapelstapelfahrern" auch mit einer Leistungszulage zum Durchhalten bis Ende Oktober an. Das, und die Abwicklung "in atmosphärisch ordentlichem Rahmen" mache das Ganze doch ein wenig erträglicher, sagt Siron. Dass sich der vor einem Jahr von Omira in die Welt gesetzte Hoffnungsschimmer, das frei werdende Werk könne vielleicht von einem Safthersteller übernommen werden, hat sich zur Enttäuschung der Belegschaft indes als reine Luftnummer erwiesen.

So hegen die Beschäftigten jetzt doch die Hoffnung auf andere Jobs, möglicherweise in ganz anderen Branchen. Ob sich diesbezüglich etwas tut? Über Kontaktaufnahmen (über Omira-Telefon 0741/ 25 30 oder E-Mail: mail@omira.de) interessierter Arbeitgeber würde sich Betriebsratsvorsitzender Eugen Siron, der auf "gute Arbeitskräfte in allen Altersklassen" verweist, freuen.

Kommentar: Saure Milch

Von Winfried Scheidel

Lange war in Rottweil ein Milchwerk beheimatet – eine wichtige Anlaufstelle für die Erzeuger aus der Region. Am 31. Oktober ist endgültig Schluss. Dann gibt es nur noch einen Kehraus zur Räumung des Areals. Das im Sommer 2013 abrupt verkündete Ende ist sicher auch Konzentrationsbestrebungen geschuldet, die in vielen Branchen an der Tagesordnung sind, um Kosten zu sparen. Andererseits brachte 2012 eine fragwürdige, auf Expansion durch Milchzukäufe ausgerichtete Geschäftspolitik den Omira-Konzern stark ins Schlingern. Die früheren Geschäftsführer mussten deshalb den Hut nehmen. Der neue Chef Ralph Wonnemann hat das Milch-Schiff wieder auf Kurs gebracht. Die meisten Rottweil-Beschäftigten sind jetzt trotzdem bald von Bord "der Omira". Darüber hinaus hat die Odysee von vor zwei Jahren viele Milchbauern aus der Region in die Arme anderer Verwerter getrieben.