Rottweil - Gehörige Zweifel bleiben, doch beweisen lässt sich nichts. Daher feiert ein Handwerksmeister aus einem Dorf bei Rottweil doch noch einen Freispruch. Er wurde beschuldigt, einen Schneepflug von der Straße abgedrängt zu haben. In erster Instanz war er zu einer Geldstrafe plus Fahrverbot verurteilt worden.

Hier steht ein Mann vor Gericht, der inner- und außerhalb der Dorfgrenzen alles andere als ein unbeschriebenes Blatt ist. Rechtsanwalt Hermann Ascher aus Rottweil sagt in dem Berufungsverfahren gestern vor dem Landgericht Rottweil über seinen Schützling – verständlicherweise wohlwollend –, er sei einer, der glaube, von seinen demokratischen Rechten Gebrauch machen zu müssen: "wortreich, auch schwer verständlich, jedoch niemals gewalttätig."

Ganzes Dorf leidet unter Vorgängen

Wie immer man das bezeichnen mag: Der demokratische Übereifer hinterlässt Spuren und gewaltige Aktenberge – der Schriftwechsel bei Behörden, Ämtern und unbescholtenen Bürgern ist enorm. Immer wieder erhebt der Mann Vorwürfe der Veruntreuung, des Amtsmissbrauchs, der Verschwendung von Steuergeldern.

Vor Gericht muss sich der Handwerksmeister zwar wegen eines Vorfalls aus dem Dezember 2012 verantworten. Doch zur Sprache kommt mehr: Vorgänge, unter denen anscheinend ein ganzes Dorf zu leiden hat. So soll sich der Handwerksmeister immer wieder an seinen Mitbürgern stören, sie tagaus tagein bedrohen, beleidigen und beschimpfen. Sein Anwalt sagt, er kenne seinen Mandanten schon seit 20 Jahren: "Er regt sich schnell auf, daher die Beleidigungen".

Die Zeugen sind untereinander befreundet: Der eine ist der Fahrer des Schneepflugs, er wohnt ebenfalls in dem Dorf. Der andere sitzt an jenem Dezember-Nachmittag im Unimog auf dem Beifahrersitz. Sie befinden sich gerade auf der Neukircher Steige, als das Firmenfahrzeug des Angeklagten von Rottweil her kommend im Rückspiegel auftaucht. "Mal sehen, was er jetzt wieder im Schilde führt", murmelt der Lenker des Schneepflugs vor sich hin.

Es ist nämlich gerade zwei Tage her, dass er mit dem Handwerksmeister eine handgreifliche Auseinandersetzung hat. Es geht ums Schneeräumen im Dorf. Nach Ansicht des Handwerkers geschehe das zu oft – unnötig, Verschwendung von Steuergeldern, so der Vorwurf. Er stellt den Fahrer zur Rede. Was genau in diesen frühen Morgenstunden passiert, ist ungewiss.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Fahrer des Schneepflugs den körperlich weit unterlegenen Handwerksmeister in den Schnee schubst und ihn kräftig einseift. Eine wortwörtlich zu nehmende Abreibung also. Mittlerweile ist eine Zivilklage anhängig.

Das Aufeinandertreffen zwei Tage später auf der vierspurigen B 27 könnte so etwas wie ein Racheakt gewesen sein, so die Sichtweise des Chefs der Rottweiler Staatsanwaltschaft, Joachim Dittrich, in dem Berufungsverfahren unter dem Vorsitz von Richter Wolfgang Heuer.

"Was bleibt, sind Restzweifel"

Dittrich hält es für erwiesen, dass der Handwerksmeister mit seinem Sprinter den Schneepflug überholt, absichtlich zu früh nach rechts zieht und den Fahrer nötigt, ins Bankett auszuweichen. Es gebe keinen Zweifel, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt habe. Daher hält Dittrich am Strafmaß fest: Geldstrafe und ein einmonatiges Fahrverbot.

Anwalt Ascher, der an den Aussagen der Zeugen gehörig zweifelt und an eine Absprache denken mag, plädiert indes für einen Freispruch: "Wir wissen nicht gewiss, was sich vorgetragen hat." In diesem Fall gelte: im Zweifel für den Angeklagten.

So sieht es auch die elfte kleine Strafkammer. Es gebe keine objektiven Spuren, keine Indizien. "Was bleiben, sind Restzweifel", so Heuer. Auch bei den Zeugenaussagen. Eine mögliche Motivation für den Fahrer des Pflugs könnte gewesen sein, dem Angeklagten eine reinzuwürgen – wegen der von diesem angestrengten Zivilklage.

Es habe knapp nicht gereicht für eine Verurteilung, so der Richter. Denn dass da beim Überholen irgendetwas nicht in Ordnung war, "daraus wollen wir keinen Hehl machen", äußert Heuer.

Kommentar: Mäßigung

Von Armin Schulz

Das Gerichtsverfahren um einen vermeintlich abgedrängten Schneepflug auf der Neukircher Steige im Dezember 2012 gibt den Blick frei auf die Seele eines Dorfes. Trotz vieler Zweifel vor Gericht ist eines sicher: Um dessen Frieden sieht es nun gar nicht gut aus. Ob hier lediglich ein einzelner Handwerksmeister schuld hat, sei mal dahingestellt. Gefährlich ist es allemal, wenn schwelende Konflikte auf offener Straße ausgetragen werden – mit Kleintransporter und Unimog als Waffen. Da können auch Unbeteiligte unter die Räder kommen. Wie man den Dorffrieden wieder herstellen kann? Gute Frage. Sicherlich nicht, indem, wie es der Handwerksmeister seit Jahren macht, alle möglichen demokratischen Mittel herangezogen werden. Denn das macht noch lange keinen guten Demokraten aus. Mäßigung und Zurückhaltung ist das Gebot der Stunde.