Auch an der Ostsee, in Nähe der Heimat der angeklagten Frau, sollen bei Treffen von Vertriebsleuten die gesetzwidrigen geschäftlichen Machenschaften im Hause BFW immer wieder mal Thema gewesen sein. Foto: Sauer Foto: Schwarzwälder-Bote

Beim Prozess wegen Betrugs und Untreue gegen früheren BFW-Geschäftsführer und seine ehemalige Frau ist noch kein Ende in Sicht

Von Winfried Scheidel

Kreis Rottweil. Ausufernd bis an den Ostseestrand zeigt sich mittlerweile das Geschehen im Prozess wegen Betrugs und Untreue gegen den früheren Geschäftsführer der Bösinger Fleischwaren GmbH und seine ehemalige Frau. Nun soll auch der Wirt Zur Grünen Heide bei Ueckermünde vor der Großen Strafkammer am Landgericht Rottweil ein nicht unerhebliches Wort mitreden.

Eigentlich stehen fangfrischer Fisch aus dem Stettiner Haff und Gerichte vom heimischen Wild ganz oben auf der Speisekarte der Ueckermünder Lokalität. Für Schwarzwälder Schinken dürfte sich der Gastronom kulinarisch aber auch interessiert haben, hielten doch Geschäftsführung und Vertriebsleute der Bösinger Fleischwaren GmbH (BFW) immer wieder mal Einkehr in der mit Naturidylle und Badestrand werbenden Herberge nahe der Ostsee. Möglicherweise ist dem Gastwirt aber mittlerweile der Appetit auf süddeutsche Fleisch- und Wurstspezialitäten vergangen: Im Rottweiler Prozess, bei dem eine Schadenssumme von mehreren Millionen Euro im Raum steht, hat ihn die Verteidigung ins Gespräch gebracht. Sollte sich deren Mutmaßungen bewahrheiten, würde dies ein weiteres Schlaglicht auf das wilde Betriebsgeschehen fast bis zum Zeitpunkt der Einreichung des Insolvenzantrags für die alte BFW Ende Mai 2011 werfen.

Der mögliche Zeuge aus dem hohen Norden kann nach dem Dafürhalten der beiden Verteidiger offenbar deutlich machen, dass beim Fabrikverkauf über schwarze Kassen Bereicherungsvorwürfe nicht nur an die Adresse der beiden Hauptangeklagten gehen müssen, sondern auch eine bisher als unbescholten geltende BFW-Angestellte als schwarzes Schaf zu brandmarken ist.

Anlässlich einer Tagung des BFW-Vertriebs in der Ostsee-Idylle wenige Wochen vor der Insolvenzeröffnung soll die Mitarbeiterin dem Wirt geflüstert haben, nur mit Hilfe von abgezweigten Geldern aus dem Fabrikverkauf habe sie mit ihrem Mann ein Haus bauen können.

Die so beschuldigte Frau wies bei ihrer Zeugenvernehmung am siebten Verhandlungstag (7. Januar 2015) den von der Anwältin der angeklagten früheren Chefin aus heiterem Himmel in den Raum gestellten Vorhalt als ungeheuerlich zurück. Sie betonte ihr immer redliches Mühen in einem sich mit den Jahren immer krimineller entwickelnden Betriebsgeschehen, bei dem sie aus Existenzangst zur Helfeshelferin beim Abzweig von Geldern aus dem Fabrikverkauf zugunsten des einstigen Chef-Ehepaars geworden sei.

Mit einem ähnlichen Zwiespalt hatten laut zweier Kriminalbeamter aus Freiburg, die ab 2011 viele Monate mit der Aufarbeitung der kriminellen Machenschaften in der BFW beschäftigt waren, auch zwei Damen aus dem Bereich der Buchhaltung zu kämpfen. Die beiden Frauen machten vor einigen Wochen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Sie wurden bereits in abgetrennten Verfahren wegen Beihilfe zur Untreue (Buchungsbetrügereien, zu die sie der damalige Geschäftsführer veranlasst habe), verurteilt.

Die beiden Ermittler gaben am Donnerstag, dem elften Verhandlungstag, ausführlich Auskunft über ihre Vernehmungen der beiden Buchhalterinnen im Jahr 2012, insbesondere was den Vorwurf des Factoring-Betrugs betrifft: Nachdem sich die Zahlungsfähigkeit der BFW immer dramatischer verschlechtert habe, seien ab 2010 durch die Buchhaltung "auf Anweisung des Chefs" auf betrügerische Weise viele Schleusen geöffnet worden, um die Liquidität des Betriebs zu verbessern.

Auch Schlendrian bei Inkassobetrieb hilft bei kriminellen Machenschaften

In wenig rühmlichem Licht, was ein kompetentes Geschäftsgebaren betrifft, erscheint in diesem Zusammenhang auch der Inkassobetrieb Südfactoring, der aufgrund täglicher Meldungen über ausgestellte Rechnungen an Kunden der BFW gegen eine Provision und einen Zahlungsabschlag sofort das Geld an die BFW überwies, um später bei den BFW-Kunden – darunter große Handelsketten – die Rechnungsbeträge einzufordern. Bei der Südfactoring scheint Schlafmützigkeit Trumpf gewesen zu sein. Erst sehr spät wurde dort offenbar erkannt, dass man sich mit Falsch- und Luftbuchungen monatelang hatte übers Ohr hauen lassen. Bezeichnend ist die Angabe einer Buchhalterin bei der Polizei im Februar 2012: Am Tag der Insolvenzanmeldung Ende Mai 2011 – als absehbar war, dass der gesamte Schwindel bald offen zu Tage treten musste – habe der damalige Geschäftsführer plötzlich die Anweisung gegeben, den Factoring-Betrug zu bereinigen. So habe sie auf den letzten Drücker eine Rücküberweisung von 2,12 Millionen Euro an die Südfactoring veranlasst, sagt die Mitarbeiterin aus.

Für viele Zeugen ist klar: Mit Einzug der "grande dame" hat der Geschäftsführer den Kopf verloren

Wie schillernd die Konstellationen zu möglichen Verquickungen in die kriminellen Machenschaften teilweise sind, zeigt sich auch in der Person eines Beraters des früheren Geschäftsführers, der heute – in der aus der Insolvenz erfolgreich hervorgegangenen neuen BFW – den größten Teil der Gesellschaftsanteile hält.

Gegen den ehemaligen Banker ist ein separates Verfahren anhängig. Nach Erkenntnissen der polizeilichen Ermittler, die diese aus Zeugenbefragungen und zahlreichen Akten gewonnen haben, habe sich der Ex-Banker "vom Chef" zu einem federführenden Akteur bei der unlauteren Geldbeschaffung über das Factoring-System machen lassen. Dies zwar offenbar immer in der Sorge, die zunehmende Finanzklemme könne alle Stricke reißen lassen. Ob sich aus dieser Motivation ein "Moralbonus" für diese kriminelle Beihilfe ableiten lässt, wird ein anderes Gericht entscheiden müssen.

Apropos Moral und Beweggründe: Der angeklagte einstige Geschäftsführer war nach Meinung wegen des BFW-Desasters ebenfalls strafrechtlich verfolgter, aber auch diesbezüglich unbescholtener Mitarbeiter ursprünglich durchaus ein integrer "Kopf des Unternehmens, der "sparsam, zugänglich und bescheiden" die Geschicke zu lenken versucht habe. Mit der Heirat seiner zweiten Frau habe sich in Sachen "Lebensstil, Autos und Spesenabrechnungen drastisch vieles geändert", fasste vorgestern eine Freiburger Kripobeamtin ihre Eindrücke aus vielen Vernehmungen vom im System BFW tätiger Personen zusammen.

Solche Erkenntnisse passen ins schon an anderen Verhandlungstagen gezeichnete Bild. Demnach hat eine Anfang der 1990er-Jahre plötzlich auch in den Betrieb eingeführte "grande dame" ihren damaligen Mann in ein Fahrwasser gelotst, das schließlich 2011 in der Firmeninsolvenz und in herben persönlichen Tiefschlägen und großen Vermögensverlusten mündete. Strafrechtlich wird der moralische Aspekt aber vermutlich deutlich geringer zu Buche schlagen, als das Momentum der Verantwortlichkeit, das sich aus der Geschäftsführer-Position des früheren Ehemannes ergibt.

Die möglichst genaue Zuordnung der Schuld erfordert von der Ersten Großen Strafkammer am Landgericht Rottweil einen enormen Verfahrensaufwand. Am nächsten Verhandlungstag, dem 18. Februar, will die Kammer unter Vorsitz von Karl-Heinz Münzer nach nunmehr elf Prozesstagen "mit Hinweisen, Vorschlägen und Anregungen" einen weiteren Versuch zu einer Verfahrensstraffung unternehmen.

Verteidigung erhofft sich auch Rückenwind von Geflüster am Ostseestrand

Ob dieses Vorhaben auch den beiden Verteidigern zupass kommt, ist eine spannende Frage, ist deren Strategie doch darauf ausgerichtet, das Bild von sich notgedrungen und ohne eigene Vorteile in Helfeshelferpositionen sehenden Mitarbeitern zu trüben, um dadurch die den beiden Hauptangeklagten zuzurechnende Schadenshöhe zu schmälern. So sind die Anwälte der beiden Angeklagten nachhaltig darum bemüht, Indizien dafür zu sammeln, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch Untergebene materielle Vorteile erlangten und kriminelle Machenschaften vielleicht sogar aktiv unterstützt haben.