Aura aus fast 800 Jahren lässt Besucher schwärmen

Von Anja Schmidt Rottweil. Die Eröffnung des Ladengeschäfts ist fast eine kleine Sensation. Das Link’sche Haus, das älteste in Rottweil, kann endlich besichtigt werden.Ihre Begeisterung ist ansteckend. Elke Lehnert-Walfort erfüllte sich mit ihrem kleinen Laden in der Hauptstraße 62, in dem sie Selbstgenähtes und seltene Dekoartikel anbietet, einen Traum. Doch nicht minder glücklich ist sie über die Aura des fast 800 Jahre alten Hauses. "Im Keller befindet sich sogar noch eine Kanonenkugel", erzählt Lehnert-Walfort strahlend. Vor Kurzem war Eröffnung, doch im Laden war sie kaum anzutreffen. Schon morgens führte sie Oberbürgermeister Ralf Broß und Alt-Stadtarchivar Winfried Hecht durch das dreistöckige Gebäude, und obwohl das Geschäft abseits jeglichen Betriebs unterhalb des Hotels Sternen liegt, wollte das Besucherinteresse nicht enden.

Bis zu seinem Tod vor einem Jahr gehörte das Haus Ludwig Anbicker. Vor 43 Jahren ließ er sich das Baudatum von 1287/1288 durch eine dendrochronologische Untersuchung des Fichtendachstuhls bestätigen. Das Probe-Bohrloch ist noch heute im Dachstuhl zu sehen, und auch die entsprechende Urkunde kann die frischgebackene Ladenbesitzerin vorzeigen. Wobei sie betont, "das Haus gehört nicht mir, es wurde von meinem Mann und dessen Freund erworben."

Das Prachtstück im Keller wird natürlich als erstes besichtigt. Schon der Weg dahin ist ein kleines Abenteuer. Die hölzerne Laube vor dem Eingang, die steilen Treppen und engen, dunklen, gewölbten Gänge erinnern an eine Burg. "Das tiefe Loch da war wohl mal ein Geheimgang zum nebenstehenden Haus", sagt Lehnert-Wolfort. Zu einem näheren Blick kann sich keiner aufraffen. "Alleine möchte ich hier nicht sein", gesteht Lehnert-Walfort.

Das Link’sche Hausbietet Einblickein die Geschichte

Bis ins 17. Jahrhundert wurden die Häuser durch innere Wehrgänge verbunden, bestätigt Winfried Hecht. Auf diesem Weg konnten die Stadtmauern bei Angriffen schnell erreicht werden, um Gegenmaßnahmen einzuleiten, und bei Bränden dienten sie zur Flucht. Gefunden wurde im Link’schen Haus, wie es heute genannt wird, nur einer. Nördlich grenzte das Haus an das Obere Au-Tor.

"Da liegt sie", deutet die Hobbyhistorikerin in einen dunklen Winkel: Tatsächlich, eine Kanonenkugel. Über die Jahre sank sie immer tiefer in den Kellerboden. Nur noch die Hälfte von ihr lugt heraus. Es sei durchaus möglich, dass die Kanone einst im Mauerwerk steckte, erzählt Hecht von dem Bombardement, dem die Häuserfront einst ausgesetzt war. Dennoch wirkt das Haus wie ein Überlebenskünstler. Es überstand nicht nur die Kriege der vergangenen 800 Jahre, sondern ebenso den Stadtbrand von 1339.

Auch die Führung durch die oberen Stockwerke ist spannend: Die original Dielenböden im zweitenStockwerk, das alte Schloss an einer Vorratskammer, die gotischen Spitzbögen an drei Fenstern, aber vor allem das Gebälk auf dem Dachboden, mit dem das Alter des Hauses nachgewiesen werden konnte. Die Lebensjahre sieht man dem Dachstuhl inzwischen an. "Erwird originalgetreu saniert", verspricht Lehnert-Walfort, undplant gleich fröhlich weiter: "Wäre das nicht ein tolles Ambiente für Trauungen?"

Egal wie, sicher ist: Im ältesten Haus von Rottweil ist jeder herzlich will-kommen. Daswar nicht immer so. Ludwig Anbicker war kein Freund von Öffentlichkeit. Selbst Hechtdurfte keinenFuß in das Haus setzen. Böse sei er ihm deswegen nicht. Gleichwohl habe er nun seine erste Besichtigung "genossen". Das Haus sei toll, schwärmt Hecht, von den hölzernen Lauben und dem Gemüsegärtchen zur Neckaraue, aber vor allem von den in den vergangenen Jahren getroffenen, "geschickten und funktionalen" Baumaßnahmen.