Vor dem Landgericht in Rottweil steht ein 52-Jähriger, weil er das Haus seines Vaters in Brand gesteckt haben soll. Foto: Nädele

Zweiter Verhandlungstag im Fall um Brandstifter aus Horb. Angeklagter spricht erstmals über seine Persönlichkeit.

Rottweil/Horb - Überraschung im Fall des Horber Brandstifters, der seinen Vater zusammengeschlagen haben soll: Beim zweiten Verhandlungstag im Landgericht Rottweil kommen nicht nur Sachverständige zu Wort. Der Angeklagte spricht erstmalig über sein Leben und das schwierige Verhältnis zu seinem Vater.

"Eigentlich weiß ich nicht, warum ich in ärztlicher Behandlung bin." Mit ruhiger Stimme und gekrümmtem Rücken antwortet der Angeklagte am Mittwoch im Landgericht Rottweil auf die Fragen der Richter. Kurzentschlossen hatte sein Verteidiger mitgeteilt, sein Mandant wolle sich äußern. "Ich fühle mich gesund und hatte nie das Bedürfnis zum Arzt zu gehen", sagt der Angeklagte.

Langsam, ruhig und sachlich beginnt er zu erzählen. Die Haare sind etwas zerzaust, das Gesicht blass. Immer wieder hält er inne, weiß oft nicht, was er sagen soll oder erinnert sich nicht. Er trägt den gleichen schwarzen Anzug. Zunächst listet er die für ihn wichtigsten Stationen seines Lebens auf. "Grundschule, Umzug, Hauptschulabschluss." Seine Sätze sind kurz, die Augen aufmerksam auf die Fragenden gerichtet.

Viele Ereignisse verdrängt, abgehakt oder vergessen

Nach seinem Abschluss habe der 52-Jährige eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker absolviert und im Anschluss in verschiedenen Firmen als Elektriker und Schlosser gearbeitet. An viele Ereignisse und Daten kann er sich nicht mehr erinnern, die Richter helfen mit der vorliegenden Akte auf die Sprünge. "Kann es sein, dass Sie zuletzt 2007 vor Ihrer Haft berufstätig waren?" – "Ja, genau." Es scheint, als habe er viele Ereignisse in seinem Leben verdrängt, abgehakt oder schlicht vergessen. Das Alter seiner Mutter kennt er nicht, wann er eingeschult wurde, weiß er nicht.

Was er weiß, ist, dass er in seinem Beruf gerne gearbeitet hat. "Das hat mir immer Spaß gemacht", sagt er. Das Schrauben an Motorrädern war bis zuletzt eines seiner größten Hobbys. "Viele haben mich gekannt", sagt er. In all der Zeit – bis er 2008 seine fast fünfjährige Haft verbüßt – lebte er bei seiner Mutter. "Haben Sie nie selbstständig in einer eigenen Wohnung gelebt?", so die Frage eines Richters. "Nein", so die Antwort. "Nur einmal habe ich während der Ausbildung für vier Jahre mit meiner Freundin zusammengelebt." Danach sei er wieder zu seiner Mutter zurückgezogen.

Die Kammer wird hellhörig, bohrt nach und der Angeklagte lässt Einblicke in ein Leben zu, das manchmal auf Mitleid, aber auch Unverständnis stößt. "Meine Freundin hat mich damals für einen anderen verlassen", sagt er mit anfänglichem Zögern. Er senkt den Blick. Das Sprechen darüber fällt ihm schwer. Seitdem sei er nie wieder eine Beziehung eingegangen. "Kein Interesse", sagt er. Die Enttäuschung sei zu groß gewesen.

Der 52-Jährige gerät immer öfter an Alkohol. Das habe schon während seiner Ausbildung angefangen. "Mal mehr, mal weniger", sagt er. "Hauptsächlich Bier". Ein paar Mal gerät er aufgrund des Konsums in eine Verkehrskontrolle, landet deswegen sogar in einer Klinik. Im Rahmen seiner Strafen hält sich der Angeklagte zudem in einem Justizvollzugskrankenhaus auf. "Da war es ruhig", äußert er sich. "Der Lärm im Gefängnis war nicht zu ertragen."

Von Vater als Kind oft verprügelt

Die Kammer versucht zu begreifen, was den Angeklagten in die Sucht getrieben haben könnte und warum er Lautstärke nicht ertragen kann. Sie wird aufmerksamer, als der dieser über die Beziehung zu seinem Vater berichtet. "Das Verhältnis zu ihm ist äußerst schwierig", sagt der 52-Jährige, der oft zu seiner weiblichen Vertrauensperson blickt. Als er noch ein Kind war, sei der Vater selten zu Hause gewesen. "Wenn er da war, gab es Streit", erzählt er. Die Stimme wird leiser, als er hinzufügt: "Mein Vater ist ein streitsüchtiger Mensch." Er sei ihm und seiner Mutter gewalttätig gegenüber geworden. "Er hat mich oft ohne Anlass geschlagen." Als sich seine Eltern getrennt haben, war er froh. "Es war einfach nicht mehr auszuhalten."

Die Mutter zieht mit den Kindern ein paar Straßen weiter. Der Kontakt zu dem Vater bricht fast völlig ab. "Ab und zu kam er uns besuchen." Auch der Kontakt zu seinen Geschwistern ist rar, mit manchen spreche er gar nicht mehr, seitdem sie ausgezogen seien. Sein jüngerer Bruder wohnt immer noch mit der Mutter in der früheren Wohnung, doch nach der fünfjährigen Haft des Angeklagten wollte dieser ihn nicht mehr bei sich haben. "Ich wäre wieder dort eingezogen", sagt der Angeklagte.

Es gab für ihn im Jahr 2012 keinen anderen Ausweg, als zum Vater zu ziehen. Das sei für ihn genauso schlimm, wie im Knast zu sein. "War das die maximale Erniedrigung?" fragt einer der Richter. "Ja", sagt der Angeklagte deutlich. Also habe er sich verkrochen, scheute jegliche sozialen Kontakte. "Nur meine Mutter kam alle 14 Tage und brachte mir Essen und etwas Geld."

Der 52-Jährige bezog in diesen zwei Jahren bis zu dem Vorfall am 2. Februar 2014 keine Sozialleistungen. Kein Hartz IV, kein Arbeitslosengeld. Unterstützung suchte er lediglich bei seiner Mutter. "Ich habe Angst vor der Öffentlichkeit", sagt er in den Schwurgerichtssaal des Landgerichts hinein. "Und ich möchte meine Ruhe haben." Der Angeklagte war nicht fähig, seine Auflagen zu erfüllen, meldete sich nicht bei der Polizei oder einem zuständigen Bewährungshelfer. "Waren Sie nach den fünf Jahren Knast erledigt? – "Ja". "Haben Sie sich bei niemandem gemeldet, weil Sie Angst hatten, dass Sie jemand findet?" – "Ja. Ich habe mich verkrochen."

Lärm war für ihn nie auszuhalten

Die Fragen des Richters und der Staatsanwältin treffen ins Schwarze. Vor der Kammer sitzt ein Mann, der sich dem Leben nicht stellen möchte. Ein Mann, dessen Familienleben zerrüttet ist. Und ein Mann, für den lautstarke Geräusche nicht auszuhalten sind. "Ich habe den Lärm nie ausgehalten", sagt er und fügt hinzu: "Wahrscheinlich arbeitsbedingt." Er schätze es sehr, wenn es zu Hause ruhig sei. In den zwei Jahren, als er in der Wohnung neben seinem Vater lebte, habe er vor allem technische Zeichnungen gefertigt, ab und zu Radio gehört, sei spazieren gegangen und habe sich an den Wochenenden mit drei Liter Wein vollgeschüttet. Zu mehr – so scheint es – war er nicht mehr in der Lage.

Seit dem Vorfall lebt der 52-Jährige in einer sozialen Einrichtung. "Da gefällt es mir gut." Er schätze die geregelten Strukturen und die Ruhe. Er lebt mit einer Frau in einer Wohngemeinschaft, was gut funktioniere. Er bekommt Medikamente, Alkohol spiele seit dem Vorfall am 2. Februar 2014 keine Rolle mehr.

Die Darstellungen des blassen Mannes im schwarzen Anzug werfen erneut viele Fragen auf, geben jedoch auch viele Antworten und setzen ein detailliertes Puzzle eines Menschen ein kleines Stück weiter zusammen. Darüber hinaus bestätigten und ergänzen ein Rechtsmediziner und Brandsachverständiger einige Geschehnisse zur Tat. So sei hinsichtlich des Brandes ganz klar, dass dieser gewollt gelegt und dafür eine Nitrit-Lösung verwendet wurde, die hohe Stichflammen und die Brandverletzungen des Angeklagten verursacht haben soll.