"Bringt mich pünktlich zum Altar!" Eine heitere Szene um Elizas Vater, Alfred Doolittle (Helmut Jakobi), der eine vermögende Frau heiratet – in der Rottweiler Lorenzkapelle (oben). Für das Pferderennen in Ascot hat sich die feine Gesellschaft in Schale geworfen (unten links). Elegant: Isabelle Groß de García als Higgins Mutter (Zweite von links) und Bagdasar Khachikyan als Freddy Eynsford-Hill (links). Eliza Doolittle (Karoline Trübenbach) geht unter die Zuschauer, um die Würstle zu verkaufen (unten rechts). Fotos: Zelenjuk Foto: Schwarzwälder-Bote

Premiere: Zimmertheater bietet mit "My Fair Lady" beste Unterhaltung mit Tiefgang / Ensemble überzeugt

Die Sommertheatersaison in Rottweil ist eröffnet: Mit dem Kultmusical "My Fair Lady" liefern Regisseur Peter Staatsmann und das Ensemble des Zimmertheaters eine frische, humorvolle Inszenierung mit viel Musik und reichlich Lokalkolorit.

Rottweil. Und trotz der ganzen Heiterkeit kommt diese keineswegs kitschig oder oberflächlich daher. "My Fair Lady" bietet Unterhaltung mit Tiefgang, darstellerisch wie musikalisch auf einem gewohnt hohen Niveau.

Staatsmann gelingt es immer wieder, sein Publikum mit originellen Regiekonzepten zu begeistern und zu überraschen. Nicht anders bei der Premiere am Freitag. Auf der Bühne stehen Bürger der Stadt und geflüchtete Jugendliche neben Schauspielern, sie alle sind in die Inszenierung integriert – und machen gleichzeitig neue Perspektiven und Blickwinkel möglich.

Die prachtvolle Kulisse im Bockshof dient als Inspirationsquelle: Aus dem Pulverturm wird das Gasthaus "Zum Pulverfass", das die urkomische Schwäbin Georgette (Isabelle Groß de García) führt. Der Regisseur nimmt sich die Freiheit, diese Figur zu erfinden, und die phänomenal authentische Schauspielerin hat die Sympathien der Zuschauer sofort auf ihrer Seite. Groß de García begeistert auch als Mutter und Sekretärin von Henry Higgins.

Selbstverständlich gibt es in "My Fair Lady" viel Tanz und Musik. Die mitreißenden Melodien von Frederick Loewe spielt das Zwei-Mann-Orchester (Werner Nörenberg und Dorin Grama) schwungvoll und mit Leichtigkeit. Was die Inszenierung ganz besonders macht, ist der lokale Bezug zu Rottweil: Da passiert so einiges in der Schramberger Straße, auch andere Orte und Namen bleiben nicht unerwähnt.

Die eigentliche Geschichte, die George Bernard Shaws Schauspiel "Pygmalion" entstammt, ist weltbekannt: Eliza Doolittle, ein armes Straßenmädchen, das in Staatsmanns Produktion allerdings Würstchen statt Blumen verkauft, wird zum Objekt einer Wette zwischen Phonetikprofessor Henry Higgins und Oberst Pickering. Higgins nimmt die Herausforderung an, die "Rinnsteinpflanze" Eliza – die in einem für ihn besonders schrecklichen Straßenjargon spricht – durch hartes Sprachtraining in nur sechs Monaten zu einer feinen Dame zu machen und auf dem Diplomatenball erfolgreich als Herzogin auszugeben. Der Unterricht beginnt und wird schnell einer Dressur ähnlich, doch der Fortschritt lässt auf sich lange warten ("Es grient so grien, wenn Spaniens Blieten bliehn."). Das treibt den Professor fast in den Wahnsinn. Er wird immer strenger, zynischer, fordernder – und scheint dabei völlig vergessen zu haben, dass sein Versuchsobjekt, Eliza, auch Gefühle, Träume, Sehnsüchte hat.

Den überheblichen Professor und Junggesellen Higgins spielt Sergej Czepurnyi überzeugend. Neu im Ensemble ist auch Helmut Jakobi, facettenreich als Elizas Vater. Die fantastische Karoline Trübenbach spielt Eliza – eine Eliza, die sich emanzipiert und immer selbstbewusster wird, die sich nicht kleinmachen lässt und gegen herablassende Kommentare des Professors wehrt. Im Spiel genauso wie im Gesangspart ausdrucksvoll: Bagdasar Khachikyan als verständnisvoller Oberst Pickering und verliebter Freddy Eynsford-Hill.

Mit "My Fair Lady" ist dem Zimmertheater eine Inszenierung gelungen, die nicht nur schön und nett ist: Sie schafft auch Raum für Fragen. Kann man einen Menschen formen, damit er den Vorstellungen – des Professors, der Familie, der Gesellschaft – entspricht? Ist kultivierte Sprache wirklich eine Eintrittskarte zur besseren Welt? Wo beginnen Identitätsverlust und Selbstverleugnung? Und ist man in der "höheren Gesellschaft", nicht auch einsam?

Den philosophischen Part übernimmt am Ende die Wirtin Georgette und macht sich Gedanken über die Widersprüche in der Welt, so wie sie es versteht: "Es ist nämlich sauviel sauungerecht." Alles in allem eine großartige Produktion mit brillanten Schauspielern – ein unbedingt empfehlenswerter Abend.