Ein Leben in verschiedenen Welten: Nicole Gerdon als Fräulein Julie, Nikolaij Janocha als Diener Jean und Marie-Luisa Kerkhoff als Magd Kristin. Fotos: Schnekenburger Foto: Schwarzwälder-Bote

Zimmertheater feiert Premiere mit Strindberg-Stück / Ein ständiges Auf und Ab

Von Armin Schulz

Rottweil. Aber Fräulein Julie, wer wird denn gleich? Ja, wer wird denn gleich mit dem nächstbesten Knecht ins Bett steigen. Und wer wird deshalb freiwillig aus dem Leben scheiden, Fräulein Julie. So was tut man nicht, ist nicht nötig. Zumindest heute. Und damals?

Es ist kein einfaches, nein es ist sogar ein wirklich anstrengendes Leben, das der schwedische Dramaturg August Strindberg 1888 in eine Tragödie gegossen und mit dem das Zimmertheater am Freitagabend Premiere gefeiert hat. Strindberg war damals Ende dreißig, hatte schon Vieles erlebt und durchgemacht. Das schlägt sich in seinen Stücken nieder.

Julie und ihr Geliebter für eine Nacht, der Knecht Jean, strengen an: Freilich die arme Kristin, Jeans Verlobte im Stück. Im wirklichen Leben trifft es die Schauspieler des Zimmertheaters: Nicole Gerdon (das Fräulein Grafentochter), Nikolaij Janocha (der emporstrebende Knecht) und Marie-Luisa Kerkhoff (die bodenständige Magd). Nicht zu vergessen die Zuschauer. Für beide Seiten ein Kraftakt, der sich am Ende lohnt. Der Premierenapplaus verdeutlicht das. Er kommt nicht spontan aus dem Bauch heraus, benötigt einen Moment, entsteht im Kopf. Dafür hält er lange an.

Herz-Schmerz-Theater sieht anders aus, das darf man hier nicht erwarten. Kopfkino geht auch anders, wobei man den Kopf in der eineinhalbstündigen Aufführung nicht mal eben zur Seite legen darf. Fräulein Julie, in der künstlerischen Verantwortung von Bettina Schültke (Dramaturgie) und Hermann Schein (Regie), ist ein ständiges Auf und Ab, ein schier unaufhörliches Hin- und Herpendeln, ja Hin- und Hergerissensein zwischen Devotion und Despotismus, Hingabe und Abgrenzung, oben und unten, Mann und Frau, Sex und Enthaltung, Leben und Tod. Wobei immer beide Seiten gewinnen, um im selben Moment zu verlieren.

Das Stück spielt in einem Grafenhaus, die Tochter, das Fräulein Julie (eine verrückte, eine dämonische Domina im schwarzen Kleid, mit schwarzem Haar, nur eine weiße Bluse blitzt hervor – mit Gerdon prima besetzt), gibt einen Ball für die Untergebenen, schließlich ist Mittsommernacht. Den standesgemäßen Verlobten jagt sie kurzerhand zum Teufel, schnappt sich dafür den gutaussehenden sowie vorwärts- und später reinwärtsdrängenden Diener Jean, stellt damit mal auf die Schnelle das Leben aller auf den Kopf und das Ihrige aufs Spiel. Mit einem für sie dramatischen Ausgang.

Das Stück ist, klar, aus der Zeit genommen, aber nicht aus der Zeit gefallen. Schültke und Schein verzichten, bis auf wenige Details, auf eine Aktualisierung. Orientierung am Original ist der Grundsatz, denn die verrückten Fräuleins, die über Leichen gehenden Diener, die still und leise leidenden Mägde gibt es auch heute. Standesgrenzen sind heute gesellschaftliche Grenzen (Abgrenzungen und Ausgrenzungen), die es einzureißen gelte, so könnte eine Botschaft lauten. So etwas gibt es in beinahe jeder Stadt, auch in Rottweil. Ihre Namen: Omsdorfer Hang, "Klein-Moskau".

Man sieht: Wer auf der besseren Seite steht, muss nicht immer ein besseres, einfacheres Leben haben. Dieses Strindberg-Stück ist beileibe nicht einfach. Für niemanden. Es sich konzentriert anzuschauen, lohnt indes allemal.