Die Familie Marzouki hat alles verloren. Aus Angst vor dem syrischen Regime lassen sie sich nicht fotografieren. Foto: Smaoui Foto: Schwarzwälder-Bote

Flüchtlingsserie: Familie Marzouki aus Syrien vermisst ihre Heimat / Flucht mit vier Kindern

Von Dunja Smaoui

Rottweil. Fest drückt sie seine Hand und wischt sich eine Träne von der Wange. Zarah Marzouki (alle Namen von der Redaktion geändert) weiß, wie es sich anfühlt, wenn man von ganz oben ganz tief fällt. Sie lässt uns teilhaben, an ihrem Leben, das sich innerhalb von Monaten änderte.

"Ich hatte ein wunderschönes Leben in Syrien", sagt Zarah Marzouki. Die Augen der 32-Jährigen glänzen, wenn sie sich an dieses erinnert. Ein eigenes Haus, einen gut bezahlten Job, Familie, Freunde, Kinder. "Bildung ist mir sehr wichtig", sagt die vierfache Mutter. Sie studierte und lehrte in Homs Englisch und Arabisch. "Für mich gab es nie einen schöneren Beruf als diesen."

Doch jetzt bleiben nur noch Erinnerungen an dieses Leben. Mit vier Kindern hatte sich Zarah Marzouki vor eineinhalb Jahren aus der zerstörten Kriegsstadt Homs auf den Weg gemacht. "Wir haben einem Schlepper viel Geld bezahlt", erzählt sie. Ihr Mann Amir war beruflich oft im Ausland. "Ich arbeite bei der Handelsmarine", fügt der 41-Jährige hinzu. Seine Familie allein in Syrien zu lassen, sei unerträglich für ihn geworden. Die Angst um sie wurde immer schlimmer.

"Man kann niemandem dort trauen", sagt Amir Marzouki. Seine Stimme wird lauter. "Jeder tötet jeden. Es ist egal, ob es ein Kind ist oder nicht." Er reißt die Augen weit auf. An das Donnern der Kalaschnikows hatte er sich längst gewöhnt. "Wenn es dann plötzlich ruhig ist", sagt er mit festem Blick, "dann weißt du, dass etwas nicht stimmt." Man müsse dann nur noch warten auf die Schritte derer, die mit Messern kämen. Amir Marzouki greift seine kleine Tochter am Arm. "Wäre sie jetzt noch in Syrien, würde sie dann noch leben?"

Als seine Frau Zarah mit den zwei-, vier-, neun,- und elfjährigen Kindern Deutschland erreicht hatte, konnte Amir Marzouki durchatmen. "Ich habe jede Sekunde an sie gedacht", sagt er. Die 32-Jährige wählte den Weg, den viele vor ihr schon gingen: Sie nahm das Boot. Libanon – Türkei – Italien. Von dort ging es mit dem Zug nach Karlsruhe in die Erstaufnahmestelle (Lea). Die klassische Flüchtlingsroute.

Mit den Erlebnissen der elftägigen Reise geht sie gefasst um. "Es gab kein Wasser und kein Essen", erinnert sie sich. "Aber das Boot war sicher, denn es hat uns aus Syrien weggebracht."

Zehn Tage blieben die Marzoukis in der Lea in Karlsruhe, bevor sie Rottweil zugewiesen wurden. Amir Marzouki folgte seiner Familie. Ein Jahr hatte er sie nicht gesehen, bis er die Marine endlich verlassen durfte. Seit ihrer Ankunft leben Zarah und Amir Marzouki mit ihren Kindern im Flüchtlingswohnheim in Rottweil auf engstem Raum. Ein Zimmer, in dem sie schlafen, essen und über ihr Leben sprechen. Sie teilen sich Küche und Bad mit zwei anderen Familien. "Es ist schwer zu akzeptieren, dass das Leben, das wir hatten, vorbei ist", sagt Zahra Marzouki. "Aber ich bin sehr dankbar, für alles, was wir hier bekommen." Ihr Heimatland vermisst sie dennoch – jeden Tag.

"Syrien ist ganz anders", erzählt die junge Frau und lächelt. "Wir haben auch eine tolle Landschaft und hohe Berge, aber das Leben ist einfacher." Die Läden seien dichter beieinander, die Menschen sich näher. "Wir waren glücklich", sagt sie. Zarah und Amir Marzouki sind sich einig: "Wenn in Syrien der Frieden einkehrt, gehen wir sofort zurück." Die Hoffnung, dass es dazu kommt, haben sie.

Bis dahin machen sie das Beste aus ihrer Situation. Die zwei Söhne gehen zur Schule, alle wollen Deutsch lernen. "Als Nächstes suchen wir uns eine Wohnung", sagt Zahra Marzouki. Sie will raus aus dem Übergangswohnheim. Obwohl es laut und eng ist, beschweren sie sich nicht, nehmen ihre Situation hin. Sie knüpfen Kontakte, haben schon Freundschaften geschlossen. "Die Menschen hier sind sehr nett und hilfsbereit", sagt Amir Marzouki. Gedanken darüber, dass sie sich nach Jahren auch in Deutschland zu Hause fühlen werden, machen sich beide nicht. "Wir wissen, wo wir hingehören", sagt Zarah Marzouki. "Nach Syrien."