Wer unter Kleptomanie leidet, stiehlt ständig Dinge, ist aber meistens, so die Fachleute, nicht gefährlich. Einer jungen Rottweilerin hat ein ungebetener Besucher trotzdem einen großen Schreck eingejagt. Foto: Holweger

Kleptomaniekranker Mann jagt Rottweilerin Schrecken ein. Polizei winkt ab. Keiner fühlt sich verantwortlich.

Rottweil - Wenn es um den Umgang mit seelisch kranken Menschen geht, tun sich viele schwer. Die Erkrankungen erscheinen manchmal unheimlich, machen verlegen, viele gehen den Menschen, wenn möglich, aus dem Weg. Doch was passiert mit ihnen, wenn sich keiner mehr verantwortlich für sie fühlt?

Samstagnachmittag halb vier. Die Sonne scheint warm herunter, als sich eine junge Rottweilerin im Garten ihrer Wohngemeinschaft gerade in die Sonne legen möchte. Dann entdeckt sie einen Mann, der am Gartenzaun steht und herüberschaut. In der Hand hält er ein edles, unhandliches Feuerzeug. Mit weit aufgerissenen Augen schreit er: "Rufen Sie sofort die Polizei, sonst muss ich sterben", erzählt die 27-Jährige. Da sie nicht weiß, wie sie reagieren soll, geht sie ins Haus, die Terrassentür lässt sie geöffnet. Knapp zehn Minuten später ruft der offensichtlich verwirrte Mann nach ihr. Als die Bewohnerin aufblickt, steht der Fremde bereits in ihrer Wohnung.

Polizei: "Den nehmen wir schon gar nicht mehr auf"

"Ein schwieriger Fall", sagt Michael Riedel, Chefarzt der Allgemeinpsychiatrie im Rottweiler Vinzenz von Paul Hospital (VvPH). Bei dem fremden Besucher handele es sich um einen unter Kleptomanie leidenden Menschen, der im VvPH sowie bei der Polizei längst bekannt sei. "Den nehmen wir schon gar nicht mehr auf", sagt einer der Polizisten, die wenig später im Garten der Betroffenen auftauchen und das Handy, das der Fremde eingesteckt hatte, zurückbringen. Er sei harmlos, sagen die Polizisten. "Dinge, die er klaut, gibt er auch immer wieder zurück." Auch Michael Riedel bestätigt: "Kleptomaniekranke sind in der Regel nicht gefährlich." Hausfriedensbruch und Diebstahl solle man dennoch nicht dulden. "In so einem Fall ist es am besten, Anzeige zu erstatten", sagt er. Auch wenn diese fallen gelassen werde. "Langfristig ist eine Therapie absolut notwendig", so der Chefarzt.

Die Polizisten sind sich indes sicher, dass der Mann lange im Vinzenz von Paul Hospital in Behandlung gewesen sei. "Aber die wollen ihn auch nicht mehr aufnehmen", sagen sie. Zu oft sei er schon dort gewesen, um nur etwas zu essen und sich zu duschen.

Michael Riedel erklärt, dass ihm in solch einem Fall die Hände gebunden seien: "Wenn die Menschen nicht in der Klinik bleiben wollen, müssen wir sie gehen lassen." Oftmals kämen Anrufe von wütenden Angehörigen. "Wir können die Menschen aber nicht zwingen, hier zu bleiben", sagt Riedel. "Nur motivieren." Die Verantwortung beginnt erst dann, wenn ein Mensch stationär in einer Klinik untergebracht ist. Dass die Polizei jemanden allerdings nicht mehr vernimmt, weil dieser bereits bekannt sei und seine Taten wiederhole, das gehe laut Riedel nicht. Doch wie kann solch eine Situation gelöst werden? Wer übernimmt die Verantwortung?

Das Polizeipräsidium in Tuttlingen kann dazu keine Auskünfte geben. "Für solche Fälle sind die Behörden wie der Hausarzt oder die Staatsanwaltschaft zuständig", sagt Pressesprecher Thomas Sebold. Auch unter den zahlreichen Selbsthilfegruppen im Landkreis Rottweil gibt es keinen Ansprechpartner speziell für Kleptomaniekranke. "Wir bieten da nichts an", äußert sich eine Mitarbeiterin des Baden-Württembergischen Landesverbands für Prävention und Rehabilitation in Rottweil.

Der beste Weg sei, die Menschen zu einer Therapie zu motivieren, sagt Riedel. "Kleptomaniekranke Menschen stecken in einem Teufelskreis, weil nach jedem Diebstahl auch die Reue kommt", sagt er. Dann ginge es wieder von vorne los. Mit einer Therapie könne der Teufelskreis durchbrochen werden. "Aber er muss es wollen, sonst bringt es gar nichts", ist sich der Chefarzt sicher.