Welten prallen aufeinander: Kallipida (Anne Mokinski) und Franz Knemon (Peter Buri) halten mit ihren "Nettigkeiten" nicht hinterm Olymp. Foto: Müller Foto: Schwarzwälder-Bote

Buris neues Stück im Hinterzimmertheater begeistert ganz Schwäbisch / Nix gelernt in 2300 Jahren

Rottweil-Hausen. Für Mundart-Liebhaber war die Premiere des neuen Stücks des Hinterzimmertheaters im Adler in Hausen ein wahrer Leckerbissen.

Als eine urschwäbisch-alemannische Komödie angekündigt hält "En Waidag" von Peter Burri, Autor, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion, ihr Versprechen und lässt so manches Schwabenherz (aber auch andere) höher schlagen. Es war nicht das vornehme, sogenannte Honoratiorenschwäbisch, wie es in unserer Landeshauptstadt gesprochen wird, sondern eben so, "wie früher ungefähr in Lackendorf bei Stetten" geschwätzt wurde, wie der Autor annimmt. Und so hat Burri das vor mehr als 2300 Jahren von Menander, einem viel gerühmten Dichter der Antike, in Altgriechisch verfasste Lustspiel "Dyskolos" (Der Menschenfeind) kurzerhand ins Heute übertragen und angepasst.

Thema und Inhalt des Stückes sind dabei verblüffend zeitlos und aktuell, denn es menschelt gewaltig: Wer kennt sie nicht, die als Quertreiber titulierten und verschrienen Zeitgenossen, für die sich andere meinen fremdschämen zu müssen? Wo kommt es nicht zu Ab- und Ausgrenzung, weil jemand sich nicht den örtlichen Gepflogenheiten anpassen und unterordnen will oder ganz einfach nur anders ist? So geschieht es auch im Dorf Phylingen (im Original Phyle) bei Mykene, das hier im oberen Eschachtal angesiedelt ist. Stolz sind die Bürger auf moderne Lebensweise und zivilisatorische Errungenschaften, und damit ist der einfache Landwirt Franz Knemon (Peter Burri) der übrigen Dorfgemeinschaft mehr als nur ein Dorn im Auge, hält er ihr doch permanent den Spiegel vor. Genügsam und bescheiden lebend und damit zufrieden hätte er eigentlich das Prädikat "nachhaltig" verdient. Er wird zum Fortschrittsverweigerer und faulen Querulanten abgestempelt. Die große Mehrheit meint denn auch, ohne ihn besser und letztlich angenehmer leben zu können. Trägt er schon nichts zum Steueraufkommen und Bruttosozialprodukt bei, stört er in ihren Augen mit seinem unkonventionellen Lebensstil das Ansehen des gesamten Dorfes und bedroht dadurch den Dorffrieden. Als er es dann auch noch wagt, beim Opferfest, bei dem sich die anderen mit ihren Gaben jeweils zu übertrumpfen trachten, gar nichts zu geben, ist die Eskalation des lange schwelenden Konfliktes vorprogrammiert. Selbst seine Sklavin Simiche (Inge Fuchs) kann durch geschicktes Verhandeln mit dem Metzger (Thorsten Holstein) ihre Opfergabe noch vergrößern. Dabei scheinen sich mit der Sklavin und ihrem Herrn – wie so oft im Leben – die beiden Richtigen gefunden zu haben, oder sie hat sich im Laufe der Jahre an ihren Lohn- und Brotgeber angepasst.

Dann reist aus der Stadt auch noch die überkandidelt-affektierte Dame aus besserem Hause, Kallipida (Anne Mokinski), an, die sich ausgerechnet für Knemon interessiert, aber sich dergestalt über ihn entsetzt und lustig macht, dass dies den Zorn seiner Exfrau Myrrhine (Hanna Weber) erweckt. Als sich die Städterin als künftige Schwiegermutter seiner Tochter herausstellt, deren gute Partie Knemon gefährdet, kommen schließlich Ideen auf, Knemons Ableben direkt mit Gewalt oder indirekt bei passender Gelegenheit durch verweigerte Hilfe zu beschleunigen. Und die Geschichte nimmt ihren unvorhergesehenen Verlauf.

Im Stück tauchen Begriffe und Redewendungen wieder auf, die der heutigen Alltagssprache auch in unserer Gegend fast verloren gegangen sind. Manchen neu Zugezogenen mögen einzelne davon chinesisch – pardon: altgriechisch – anmuten. Sie seien getröstet, denn was ein "Drallare", ein "Sauigel", ein "Drecknuale", ein "Knattle" oder ein "hoffärtigs Luader" ist, kann auch ein Schwabe nicht wirklich übersetzen – er vermag nur seine Mitmenschen diesen Kategorien klar zuzuordnen. Und das reicht zunächst auch den Protagonisten.

Welten prallen aufeinander, wenn die Dame Kallipida, und der bodenständige Griesgram Franz Knemon sich erstmals begegnen. Wenn sie sich dann eine Nettigkeit nach der anderen an den Kopf werfen und dabei so richtig in Fahrt kommen, erübrigen sich schwäbische Sprachkenntnisse, denn es erschließt sich allein schon aus der köstlichen und ausdrucksstarken Darstellung der beiden, dass es sich dabei nicht um Kosenamen handelt. Bei diesem verbalen Schlagabtausch bleiben sie sich nichts schuldig – zum großen Vergnügen der begeisterten Zuschauer. Zudem: über ein so umfangreiches Repertoire an treffsicheren schwäbischen Schimpfwörtern dürfte nicht jeder verfügen. Und Hanna Weber als Knemons geschiedene Gemahlin Myrrhine spricht das Urschwäbische so klar aus, dass es selbst für Hochdeutsche verständlich sein dürfte. Die fünf Darsteller überzeugen in ihrer Präsenz und fein-ironischen Zeichnung der verschiedenen Figuren, die Rollen scheinen ihnen förmlich auf den Leib geschrieben – sehr zur Freude der begeisterten Zuschauer.

Vordergründig teils derb ist "Der Waidag" eine Charakterkomödie mit Hintersinn und Tiefgang. Dabei spannt das Stück den Bogen von der Antike zur Moderne. u Wer sich diesen sprachlichen Genuss nicht entgehen lassen will, hat dazu noch Gelegenheit. Weitere Vorstellungen sind am Samstag, 4. Juli, Freitag, 10. Juli, und Samstag, 18. Juli. Beginn ist jeweils um 20.30 Uhr. Unter Telefon 0741/3 33 58 oder per E-Mail adlerinhausen@web.de können Karten vorbestellt und Plätze reserviert werden.