Christian Ruf über den Turm-Boom, den Elan und die Position als Vermittler. Foto: Nädele

Seit mehr als ein Jahr im Amt. Stadtoberhaupt über Turm-Boom, Elan und Position als Vermittler.

Rottweil - Er hat vor gut einem Jahr ein schweres Erbe angetreten: Bürgermeister Christian Ruf. Zum einen trat er in die Fußstapfen des allseits beliebten und geschätzten, indes viel zu früh verstorbenen Werner Guhl. Zum anderen setzte er sich im Gemeinderat an einem denkwürdigen Wahlabend gegen einen Konkurrenten durch, der von der Stadtverwaltung eher favorisiert worden war. Jetzt ist Ruf seit mehr als einem Jahr Bürgermeister in Rottweil. Wir sprachen mit ihm über seine Zeit hier und den Elan, den die Stadt verspürt.

Nach einem Jahr im Amt – ist dieser Job denn das, was Sie sich im Vorfeld Ihrer Bewerbung vorgestellt haben?

Es ist sogar noch besser. Die Projekte sind so unglaublich faszinierend wie vermutlich in keiner zweiten Stadt dieser Größenordnung. Er ist abwechslungsreich, spannend. Ich habe mit vielen Menschen zu tun – in der Stadt wie in der Verwaltung. Alles, was wir hier machen, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Entwicklung der Stadt.

Sie bringen Erfahrung als Jurist mit. Ist das hilfreich oder eher nicht?

Die Selbsteinschätzung ist ein Stück schwierig. Aber die erlernte Fähigkeit, mit verschiedenen Sachverhalten innerhalb kürzester Zeit umzugehen und eine Stunde später den nächsten Sachverhalt zu haben, ähnelt der anwaltlichen Praxis. Und ich kann schnell lesen. Das hilft. (lacht)

Wo behindert Sie das Juristsein?

Ein geflügeltes Wort über meinen Berufsstand lautet: "Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand." Aber jetzt im Ernst: Ich sehe Dinge naturgemäß von einer kritischen Warte aus. Wobei das auch hilfreich ist, eben nicht nur eine Perspektive zu haben, sondern eher die vermittelnde Position einzunehmen.

Im Privatleben abschalten geht dann aber nicht mehr, sondern Sie nutzen den Besuch am Stuttgarter Fernsehturm dazu, nach der Zahl der Stellplätze zu schauen – mit Blick auf die hiesigen Entwicklungen am Testturm.

Wenn man sich zu 100 Prozent mit der Aufgabe identifiziert, nimmt man viel in die Freizeit mit. Das ist aber auch in anderen Berufen so, wenn man Freude daran hat.

Bei Ihrer Vorstellung als Bewerber haben Sie gesagt, dass Sie ein geselliger Typ sind, der mit seinen Mitarbeitern auch mal auf ein Glas Bier hinsitzen kann. Hatten Sie dafür denn schon mal Zeit?

Ab und zu, aber nicht regelmäßig. Doch ich denke, es ist einfach wichtig, Erfolge gemeinsam zu feiern. Das schweißt zusammen.

Ist es ein Job, der einsam macht?

Das glaube ich nicht. Man braucht Rückhalt in der Familie, Verständnis in der Beziehung, ist aber ja auch viel unter Leuten. Ich mache meinen Freundeskreis aber auch nicht daran fest, dass man sich zweimal die Woche sieht, sondern dann kommen kann, wenn es notwendig ist.

Wo holen Sie sich Rat? Bei Ihrem Vater?

Mit der Führungsmannschaft um die Fachbereichsleiter und natürlich mit dem Oberbürgermeister gibt es einen engen Austausch. Für die Entscheidungen geht es dann zu sehr um Details, als dass ich mit meinem Vater vertieft über die Themen reden könnte.

In der Politik geht es um dicke Bretter. Wo setzen Sie den Bohrer an?

Ich gehe strukturiert an Themen ran. Es geht nur eins nach dem anderen im Hinblick auf Gespräche, die man führen muss, denn vieles hängt zusammen. Meine Aufgabe ist es ein gutes Stück weit, Gespräche zu führen und verschiedene Meinungen zusammenzuführen.

Sind Sie dann entscheidungsfreudig?

Gute Entscheidungen erfordern Abwägungsprozesse. Es geht darum, das Für und Wider zu sehen, eventuell zu vermitteln und dann aber auch zu einem Ergebnis zu kommen. Da gibt es keinen dramatischen Unterschied zu meiner früheren Tätigkeit. Schließlich gilt: Wenn ich nicht selber entscheide, kann es sein, dass ich entschieden werde.

Nun ist die Situation in Rottweil durch den Turm-Boom eine andere, als noch vor drei oder vier Jahren. Wie stellt sich die Verwaltung diesen Herausforderungen mit vielen privaten Investoren?

Die Entscheidungswege in einer Verwaltung sind andere, als in der Privatwirtschaft. Gibt es Impulse von außen, stellt sich die Frage: Bringt es uns als Stadt voran oder geht es "lediglich" um individuelle Interessen. Die Planungshoheit liegt aber bei der Stadt – mit der Frage, wie wir jemand unterstützen können oder ein Projekt voranzutreiben ist.

Turm, JVA, Hängebrücke – der Boom lockt Interessenten an. Es gibt viele, die andocken wollen. Das Zeitfenster schließt sich aber irgendwann auch wieder. Wie kann der Boom genutzt werden?

Naturgemäß müssen wir Schwerpunkte setzen. Wir bemühen uns, Projekte möglichst rasch aufs Gleis zu setzen.

Haben Sie tröstende Worte für die, die noch warten?

Es gibt häufig den Eindruck, alles drehe sich um den Turm und die Hängebrücke. Ganz so ist es dann aber doch nicht. Die Halle in Göllsdorf, das Feuerwehrhaus, das DHG, die JVA, Kinderbetreuung, Narrentag, OB-Wahl, Bürgerentscheid – es gibt noch viele andere Themen.

Angesichts dieser Entwicklung mit einer Vielzahl an privaten Projekten – ist das für die Verwaltung noch zu schultern?

Die vielen privaten Projekte fordern uns, vor allem personell. Vermehrt müssen deshalb Aufgaben nach außen gegeben werden, im Bebauungsplanverfahren beispielsweise. Aber auch eine Vergabe nach außen bedeutet nicht, dass wir damit nichts mehr zu tun haben. Überwachung, Anleitung, Koordination machen für uns immer noch 30 bis 40 Prozent Aufwand aus.

Rottweil befindet sich mit privaten Investoren in einer außerordentlich respektierlichen Lage. Oder sind sie in ihrer Vielzahl eher eine Plage?

Ich glaube, dass uns unglaublich viele Städte um diese Situation beneiden. Dabei stelle ich fest, dass diese Menschen, die sich in der Stadt engagieren wollen, häufig einen Bezug zur Stadt haben und sie voranbringen wollen. Im Gegensatz zu einem Investor, der "nur" seine Themen im Blick hat. Chinesische "Heuschrecken" haben wir hier nicht.