Drogendealer erzählen vor Tübinger Landgericht über ihre Geschäfte in Ergenzingen / Konflikt mit anderer Bande?

Von Daniel Begemann

Tübingen/Rottenburg-Ergenzingen. Wie war das Leben in der Ergenzinger Drogen-WG? Diese Frage stellte das Tübinger Landgericht am fünften Verhandlungstag den Mitbewohnern des wegen versuchten Mordes angeklagten aus Haigerloch stammenden 22-Jährigen. Auch über die Beschaffungsfahrt, auf der zwei der Dealer mitten in Stuttgart von einem Mobilen Einsatzkommando (MEK) überwältigt wurden, gibt es neue Erkenntnisse.

"Zuerst war mir etwas mulmig zumute, aber das hat sich gelegt", sagt der erste Zeuge am Freitag vor dem Tübinger Landgericht zu seiner Karriere als Drogenhändler. Er ist einer der drei jungen Männer, die in der Ergenzinger Drogen-WG gewohnt haben. Der jetzt 20-Jährige hatte im September vergangenen Jahres die WG mitbegründet. Er erzählte, wie das Geschäft mit den Drogen, für das er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt wurde, seinen Anfang nahm: "Zunächst haben wir nur Marihuana für unseren Eigenbedarf gekauft. Wir waren alle Kiffer. Irgendwann wurden wir dann von unserem Dealer gefragt, ob wir auch Drogen verkaufen würden." Die Männer willigten ein. Schließlich kostete der Konsum eine Menge Geld. Über seinen täglichen Konsum und den seiner Mitbewohner sagt er: "Wir rauchten fünf bis sechs Gramm pro Tag." Ihr Drogengeschäft hätten sie dann zunächst mit einer Menge von 300 Gramm Marihuana begonnen. "Doch die Nachfrage unserer Kunden ist immer weiter gestiegen. Irgendwann waren wir dann im Kilo-Bereich", sagt der Zeuge. Vier Kilogramm Marihuana mit einem Marktwert von bis zu 40 000 Euro fanden die Polizeibeamten bei der blutigen Verhaftungsaktion im Stuttgarter Zentrum im Kofferraum des Autos, mit dem zwei der Dealer auf einer Beschaffungsfahrt von Backnang nach Ergenzingen unterwegs waren (wir berichteten). Nach Aussage des zweiten, jetzt 24-jährigen ehemaligen Mitbewohners des Angeklagten habe der Einkaufspreis für die vier Kilogramm Marihuana 24 000 Euro betragen. Für acht bis zehn Euro pro Gramm sei die Droge dann in Ergenzingen und Umgebung weiterverkauft worden.

Täter verwenden bei Beschaffungsfahrten verschiedene Autos

Brachte der florierende Handel Unruhe in den Drogenmarkt Ergenzingen? Auch diese Frage interessiert das Landgericht vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte bei seiner Verhaftung die verdeckt und in Zivilkleidung auftretenden ermittelnden Beamten nicht als Polizisten erkannt haben möchte. Immerhin so viel verrät der 24-Jährige Zeuge: "Es gab da noch zwei oder drei Albaner aus Böblingen. Zwei Kumpels haben ihr Zeug von ihnen bezogen." Der 20-Jährige Mitbewohner möchte zu eventuellen Konflikten mit den anderen aber nichts sagen. "Ich habe darüber nie etwas mitbekommen. S. (der Angeklagte) ist größer und stärker als ich. Er hätte das selbst geregelt."

Auch über das Vorgehen der Männer auf ihren Beschaffungsfahrten erzählte der 24-Jährige, der stets mit dem Angeklagten im Auto saß: "Wir haben öfters die Fahrzeuge gewechselt. Der Wagen von S. war zu auffällig. Das ist schon ein ordentlicher Schlitten." In dem Wagen hätten die Dealer eher befürchtet, von der Polizei kontrolliert zu werden. Am 11. März waren sie deswegen mit einem unauffälligen Kleinwagen der Mutter einer der Männer unterwegs.

Dann soll der 24-Jährige erzählen, wie er als Beifahrer die Verhaftung durch ein Mobiles Einsatzkommando in Stuttgart erlebte. Der Zugriff erfolgte an diesem Tag um 21.18 Uhr, als die Drogendealer vor einer roten Ampel hielten. Der Zeuge erzählt: "Plötzlich hat jemand an die Beifahrerscheibe geklopft. Ich habe einen maskierten Mann gesehen. Dann flogen mir die Scherben ins Gesicht. Einen Moment später lag ich auch schon auf dem Boden und mir wurden Handschellen angelegt." Einen vorherigen Warnruf wie "Polizei! Keine Bewegung!" habe er nicht wahrgenommen. Im Auto sei das Radio aufgedreht gewesen, zudem hätten beide noch während der Fahrt Marihuana geraucht. "Dass wir jemanden angefahren haben, habe ich gar nicht mitbekommen. Das ging alles so schnell", sagt er. Heute bereut er, was passiert ist. Dem psychiatrischen Gutachter sagt er auf die Frage, wie er persönlich zu der Verhaftung stehe: "Das hätte nicht so laufen sollen. Es hätte nicht geschossen werden und so viel passieren sollen." Er habe über das Ereignis viel nachgedacht, oft nicht schlafen können. "Mir sind danach schon öfters die Tränen gekommen."

Der Prozess wird am kommenden Donnerstag ab 9 Uhr fortgesetzt. Das Urteil wird am Freitag erwartet.

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