Viele Patienten in den Slums von Kalkutta hoffen auf eine Behandlung bei den deutschen Ärzten. Fotos: privat Foto: Schwarzwälder-Bote

Der Rottenburger Kuang-Yung Tjhen hilf in den Slums von Kalkutta / Lange Schlangen vor den Ambulanzen

Von Anette Michel-Jeckel Rottenburg. Am 1. April ist es wieder soweit: Zum dritten Mal macht sich der Rottenburger Kinder- und Jugendarzt Kuang-Yung Tjhen auf den Weg, um mit der Hilfsorganisation "Ärzte für die Dritte Welt – German Doctors" notleidenden Menschen zu helfen. Diesmal geht sein Einsatz nach Kalkutta in Indien. Mitten in den Slums wird der 68-Jährige sechs Wochen lang bei einem Projekt gegen Unterernährung von Kindern mithelfen.

Seitdem Tjhen im Januar 2009 seine Praxis in Rottenburg aufgab, genießt er den Ruhestand. Nach mehr als 40 Jahren Tätigkeit als Arzt konnte er aber 2009 seine Hände nicht lange in den Schoß legen. "Ich möchte einfach helfen", beschloss er, und hatte noch im selben Jahr zum ersten Mal mit der Hilfsorganisation "German Doctors" einen Einsatz in Kalkutta (Indien) – ein Einsatz, in dem die Ärzte ohne Gehalt arbeiten und die Hälfte der Flugkosten übernehmen. Nach Kalkutta folgte 2010 ein achtwöchiger Einsatz in Sierra Leone/Westafrika.

Wenn er jetzt wieder nach Kalkutta fliegt, kennt Tjhen bereits die Verhältnisse. Als er 2009 sechs Wochen dort mitten im Slumgebiet wohnte und arbeitete, sah er, wie die Bewohner auf engstem Raum zusammenleben müssen. Zu Hunderttausend leben die Menschen so, berichtet er. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal; viele dieser Armen sind krank, unterernährt, haben keine medizinische Versorgung und kämpfen ums Überleben.

Zwischen fünf bis sieben "Slum-Ambulanzen" haben die German Doctors in enger Zusammenarbeit mit einer einheimischen Hilfsorganisation in den Slums der Schwesternstädte Kalkutta und Howrah errichtet. Der Rottenburger Kinderarzt erinnert sich noch gut an die Arbeit. Seine Kollegen und er mussten mit der einfachsten ärztlichen Grundausstattung auskommen, mit Stethoskop, Otoskop, Maßband, Blutdruckmessgerät und Taschenlampe. Die Teams fuhren täglich zu den verschiedenen Einsatzorten, in der Regel gemieteten Baracken. Dort warteten bereits seit vielen Stunden drei Menschenschlangen, eingeteilt in eine Männer-, Frauen- und Kinderreihe.

Während die Mitarbeiter den Ambulanzwagen ausluden, einen Teil der leeren Hütte mit mitgebrachten Stühlen, Tischen und Liege für die Untersuchungen einrichteten und einen anderen Teil für Wundversorgungen und Medikamentenabgabe, suchten die Ärzte die Schwerstkranken für die Sofortbehandlung aus.

Die anderen Patienten bekamen einen Stempel – zunächst jeweils 30 aus den Warteschlangen. Diese rund 100 Patienten kamen in jedem Fall an diesem Tag zur Behandlung.

Die vorwiegenden Krankheiten in den Slums waren Lungenentzündungen, Asthma, Magen-Darm-Infekte, Hautkrankheiten, Tuberkulose, Bluthochdruck, Diabetes und superinfizierte Wunden. "Nicht immer konnte man helfen", erzählt Tjhen, "weil die von Spenden abhängigen Mittel begrenzt sind." Und das Abwägen und Entscheiden, wofür die Mittel eingesetzt wurden, fiel ihm oftmals schwer – nicht jedem konnte er die notwendigen Behandlungen ermöglichen.

Diesmal wird der Rottenburger Kinderarzt bei einem Projekt gegen Mangelernährung mitarbeiten. Grund ist der schlechte Ernährungszustand der Menschen im Slum, der sie nicht nur anfälliger für (ansteckende) Krankheiten macht, sondern auch zu Wachstumsstörungen führt und die Kindersterblichkeit erhöht. Laut homepage der "German Doctors" wiegt ein Erwachsener im Slum im Schnitt 35 Kilogramm.

Ausgerüstet mit Diagrammen, Maßband, Medikamenten, Antibiotika und vielen Säcken mit drei verschiedenen Typen an Spezialnahrung wird Tjhen diesmal allein unterwegs sein, unterstützt von einem indischen Helferteam, zu dem eine einheimische Gemeindehelferin, eine Ernährungsspezialistin und eine Krankenschwester gehören.

Als schwer unterernährt gilt jedes Kind zwischen sechs Monaten und fünf Jahren, dessen Oberarmumfang weniger als elf Zentimeter misst. Diese Kinder werden untersucht, gewogen, gemessen und bekommen von Tjhen hochkalorische Spezialnahrung (angereichert mit Mineralien und Vitaminen) und wenn nötig Medikamente. Sodann setzt Tjhen auf die Mithilfe der Mütter, die beraten, geschult und auch mitversorgt werden und ihre Kinder wöchentlich zur Kontrolle bringen müssen. In einer eigenen Kinderstation nehmen die Ärzte zudem sehr unterernährte und schwer erkrankte Kinder auf und versorgen sie.