Nach der Verabschiedung zentraler Elemente der umstrittenen Justizreform haben wieder Tausende Israelis protestiert. Foto: dpa/Oded Balilty

Mit einer Petition beim Obersten Gericht will die Protestbewegung die umstrittene Reform aufhalten. Sollten die Richter zu ihren Gunsten entscheiden, könnte dies die Krise noch vertiefen.

Nach der Verabschiedung des ersten Elements der geplanten Justizreform in Israel am Montag tragen deren Gegner den Streit nun zum Gericht: Die „Bewegung für gute Regierungsführung“, eine Nichtregierungsorganisation, reichte noch am selben Abend eine Petition im Obersten Gericht ein. Oppositionsführer Yair Lapid will es ihr eigenen Angaben zufolge in den kommenden Tagen gleichtun. Das umstrittene Gesetz schafft den sogenannten Angemessenheitsstandard ab, auf dessen Grundlage das Oberste Gericht bislang Entscheidungen gewählter Politiker prüfen und, wenn nötig, annullieren konnte. Bei der Formierung der rechts-religiösen Regierung Ende 2022 hatte das Gericht diesen Standard genutzt, um die Nominierung des wegen Steuervergehen verurteilten Politikers Arye Deri zum Innenminister zu verhindern.

Chancen der Kläger sind unklar

Die Abschaffung des Angemessenheitsstandards ist indes nur ein Element eines ganzen Reformpakets, mit dem die Regierung das Verhältnis zwischen den Gewalten zugunsten der Exekutive verändern will. Während die Befürworter der Reform das Oberste Gericht für zu mächtig halten, sehen Kritiker in den Plänen eine Gefahr für die demokratische Gewaltenteilung. Das neue Gesetz ergänzt ein existierendes Grundgesetz, welches das Verhältnis von Justiz und Regierung festschreibt. Die Grundgesetze stehen in Israel stellvertretend für eine Verfassung, können allerdings wie gewöhnliche Gesetze mit einer einfachen Mehrheit im Parlament beschlossen werden.

In ihrer Petition argumentiert die „Bewegung für gute Regierungsführung“, dass die neue Regelung den Grundgesetzen widerspricht, da es „die Grundstruktur der israelischen parlamentarischen Demokratie und den Charakter des Systems grundlegend verändert, während es gleichzeitig die Judikative de facto abschafft und dem empfindlichen Gefüge der Gewaltenteilung und der Balance zwischen den Gewalten schweren Schaden zufügt“. Zudem führt die Organisation Verfahrensfehler im Gesetzgebungsprozess auf: So hätten die Abgeordneten nicht ausreichend Zeit zur Meinungsbildung gehabt.

Wie hoch die Chancen der Kläger stehen, ist im Moment unklar. Zwar stoppt das Gericht hin und wieder Gesetzesinitiativen, die seiner Ansicht den Grundgesetzen widersprechen. In die Verabschiedung eines Grundgesetzes dagegen hat es sich noch nie eingemischt. Rechtsexperten äußerten sich in israelischen Medien denn auch zurückhaltend. Yaniv Roznai von der Reichman-Universität in Herzliya sagte der Zeitung „Haaretz“, das Gericht könnte sich darauf berufen, dass das Gesetz „Grundwerte“ wie die Gewaltenteilung verletze.

Es droht eine Verfassungskrise

Sollte das Gericht das Gesetz tatsächlich aufhalten, ginge es in die direkte Konfrontation mit einer Regierung, die sich die Schwächung genau dieses Gerichts auf die Fahnen geschrieben hat. Das weitere Geschehen hinge dann von der Reaktion der Regierung ab. Es gibt in der israelischen Rechten Politiker, die schon früher offen mit dem Gedanken gespielt haben, Urteile des Gerichts zu ignorieren. Sollte die Regierung sich tatsächlich gegen ein Urteil auflehnen, wäre die Folge eine Verfassungskrise, wie Israel sie noch nicht gesehen hat.

In der Zwischenzeit wird der Konflikt weiter auf den Straßen ausgetragen. In der Nacht auf Dienstag kam es in Tel Aviv und anderen Städten zu Protesten und Autobahnblockaden. Mehrere Menschen wurden von Wasserwerfern der Polizei verletzt. In Kfar Saba, einer Kleinstadt nordöstlich von Tel Aviv, raste ein Autofahrer in einen Protestzug und verletzte drei Personen. Israels Ärztekammer rief am Dienstagmorgen einen 24-stündigen Streik aus. Krankenhäuser im ganzen Land behandelten nur Notfälle.

„Wir ziehen jetzt in einen Bürgerkrieg“, sagte Israels früherer Ministerpräsident Ehud Olmert in einem Fernsehinterview. „Ich meine zivilen Ungehorsam mit allen Konsequenzen für die Stabilität des Staates und die Handlungsfähigkeit der Regierung.“