Arbeitsstunden – wie hier am Güterbahnhof unter den Augen der Polizei – sind ein Warnschuss für Jugendliche, denn der Staat geht nicht sofort mit schwerer Keule vor. Foto: Schwarzwälder-Bote

Zusammenarbeit gegen Jugendkriminaliät trägt Früchte / Pforzheim wird vom Pilot- zum Vorzeigeprojekt

Pforzheim/Enzkreis. 65. Als Bernhard Ebinger, einer der drei Jugendstaatsanwälte, diese Zahl nannte, war auch sein oberster Boss beeindruckt. Vor allem, wenn man diese in Relation setzt – zu eins.

65 Jugendliche oder Heranwachsende aus Pforzheim und dem Enzkreis saßen zwischen 2011 und Mitte 2013 in Untersuchungshaft und viele davon nach einem Prozess im Knast. Die härteste Vollzugsmaßnahme im Strafrecht.

Dann begannen die Maßnahmen des neu eingerichteten Hauses des Jugendrechts zu greifen, dem zweiten seiner Art in Baden-Württemberg. Dieses ist mittlerweile das Haus mit den meisten Projekten, verglichen mit ähnlichen Einrichtungen in Deutschland. Seither saß nur noch einer in Untersuchungshaft – die Anklage und das Vorstrafenregister ließen nichts anderes zu, als ihn für ein paar Jahre aus dem Verkehr zu ziehen. Die Bilanz spricht Bände – und bestärkt den Justizminister Rainer Stickelberger (SPD), in Mannheim etwas Ähnliches zu schaffen.

Vielleicht wäre auch Dennis (Namen der Täter geändert) ein Fall für die U-Haft geworden. Der damals 13-Jährige prügelte und trat auf einen anderen Jungen ein. Die, die um die beiden herumstanden, filmten die Gewaltorgie mit ihrem Smartphone und feuerten Dennis an. Kurz nach dem Vorfall wurde der noch strafunmündige Junge mit seinen Eltern ins Haus des Jugendrechts einbestellt. Vater und Mutter waren schockiert, als man ihnen die Szenen vorspielte.

Dennis willigte wie der Zusammengeschlagene in einen Täter-Opfer-Ausgleich ein. "Er ist nicht wieder auffällig geworden", sagt Ebinger, der mit zwei Kollegen wechselseitig den Part der Staatsanwaltschaft im Haus des Jugendrechts vertritt. Im möglichen Umkehrschluss heißt das: Ohne das schnelle Eingreifen wäre Dennis unter Umständen unaufhaltsam ins Kriminelle abgedriftet.

Vielleicht wäre auch Volker ein Kandidat für die Haftanstalt geworden. Immer kürzer wurden die Intervalle, in denen der 15-Jährige zuschlug. Vertreter des Jugendamts, der Polizei, der Staatsanwaltschaft, die Rektorin der Schule, auf die Volker ging, und eine Schulsozialarbeiterin setzten sich an einen Runden Tisch. "Wir haben ihm klar gemacht: Es ist zuviel, es gibt eine Anklage und eine Verurteilung", erinnert sich Ebinger. Aber nicht zwangsläufig Knast.

Der Gesetzgeber hatte im März vergangenen Jahres eine Art "gelbe Karte" eingeführt: bis zu vier Wochen Arrest als Vorbewährung. Der Staat zeigt, welches ultimative Instrument – die Haft – er in seinem Werkzeugkasten hat. "So etwas kann sehr nachhaltig beeindrucken", sagt Ebinger.

Und da war Jens, zu dessen Taten Ebinger nichts näher sagen will – nur so viel: Jens war das, was sie bei der Polizei einen "Fünfprozenter" nennen. Fünf Prozent der jugendlichen Straftäter begehen 80 Prozent der Taten. Jens spürte selbst: Er schaffte es nicht allein. Er wollte raus, brauchte Hilfe – und fand sie auf Vermittlung des Hauses des Jugendrechts ausgerechnet bei der Polizei, bei der Kriminalprävention. Jens ist seit einem Jahr sauber.

"Die Jugendlichen kommen mit uns in Kontakt, Polizisten und Staatsanwälte bekommen ein Gesicht, man kann mit uns sprechen, wir suchen nach Lösungen", sagt Ebinger.

Noch ist die Kriminalstatistik mit den Zahlen der registrierten Straftaten des vergangenen Jahres nicht vorgestellt – doch Ebinger hofft, dass die Fakten sein Bauchgefühl unterstreichen: Zumindest was Jugendkriminalität angeht, sei Pforzheim sicherer geworden.