Die Moschee in der Franziskusstraße in Pforzheim. Foto: Rilling

Junger Islamist zieht offenbar in den Dschihad nach Syrien. Pforzheimer Gemeinde beteuert ihre Friedfertigkeit.

Pforzheim/Berlin/Stuttgart - Recherchen unserer Zeitung über einen 19-Jährigen Deutsch-Tunesier, der sich dem »heiligen Kampf« in Syrien anschließen will, haben ein starkes Echo gefunden. Politiker zeigen sich besorgt, in Pforzheim gehen Glaubensbrüder auf Distanz.

Ein junger Islamist aus Pforzheim unterwegs in den »heiligen Kampf« gegen die Ungläubigen in Syrien? In der Franziskusstraße in Pforzheim gibt man sich ahnungslos. An Ibrahim M. könne er sich zwar gut erinnern, Kontakt habe er zu dem 19-Jährigen aber nicht mehr, beteuert der Mann mit dem dichten Bart und dem freundlichen Lächeln. Er habe gedacht, M. sei in Köln und habe geheiratet. Dass er nun unterwegs in Richtung Syrien sein soll, höre er zum ersten Mal, sagt der Vorsitzende der Gemeinschaft der deutschsprachigen Muslime in Pforzheim.

Es ist nicht viel los gestern in der Franziskusstraße. Ein paar gläubige Muslime verlassen nach dem Gebet die Moschee, ansonsten herrscht Ruhe. »Wir haben nichts zu verbergen«, beteuert der Vorsitzende. Seinen Namen will er dennoch nicht in der Zeitung lesen. Er habe schon genug Probleme, werde von Fremden angepöbelt und angegriffen. Selbst der Nachbar würde nicht mehr mit ihm sprechen seit ruchbar wurde, dass auch Salafisten die Moschee aufsuchten.

Der Gemeindevorsteher gibt bereitwillig Auskunft: Ibrahim M. habe bis Herbst 2012 immer wieder in der Franziskusstraße gebetet. Dann war er in Pforzheim nicht mehr erwünscht. Er habe seinen Glaubensbrüdern gesagt, dass sie nicht zu der Demonstration gegen die rechtsnationale Gruppe Pro Deutschland nach Bonn gehen sollten, sagt der Gemeindevorsteher. Ibrahim M. hielt sich nicht daran. Daher habe er ihm per Einschreiben nahegelegt, nicht mehr zu kommen. Eine Antwort habe er nicht erhalten.

Der Fall ist dem Verfassungsschutz wohl bekannt

Für M.s Verhalten will der Gemeindevorsteher nicht verantwortlich gemacht werden. Der 19-Jährige sei wegen seiner dunklen Hautfarbe immer wieder von Nazis angepöbelt worden, habe deswegen psychische Probleme gehabt: »Dann kam er zu uns, und wir haben versucht, ihn auf den rechten Weg zu führen.« Nun habe sich M. anscheinend für einen anderen Weg entschieden.

Auch bei den Gläubigen, die am Nachmittag vom Freitagsgebet kommen, löst die Nachricht ungläubiges Kopfschütteln aus. »Ich komme seit Jahren zum Beten hierher, aber von Dschihad ist da drin nie die Rede gewesen“« sagt ein junger Mann.

Und was wissen die deutschen Behörden? Offenbar sind sie im Bilde, wenngleich sich die Sprecher bei diesem Thema naturgemäß schmallippig geben. Das Landesamt für Verfassungsschutz erklärte gestern auf Anfrage, der Fall von Ibrahim M. sei dem Amt »wohlbekannt«. Kein Geheimnis macht der Sprecher aus der Tatsache, dass es der baden-württembergische Verfassungsschutz war, der geraten hatte, den Pass des jungen Mannes einzuziehen. Man war zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei dem Pforzheimer um einen »anradikalisierten Jugendlichen handelt, der durch islamistische Propaganda in das Fahrwasser militanter salafistischer Protagonisten geraten ist«.

Der Entzug des Passes sei der Versuch gewesen, ihn von einer Reise ins Kriegsgebiet abzubringen. »Er sollte den weiteren Aufenthalt in Baden-Württemberg dazu nutzen, sich seinen Freundeskreis genauer anzuschauen und die Themen der Propaganda genauer zu hinterfragen«, schrieb der Verfassungsschutz im Dezember 2012.

Diese Botschaft wurde von dem 19-Jährigen offenbar nicht verstanden. Im Gegenteil, er unterhielt Kontakte zur radikalen Salafistenszene im Raum Bonn. Im Januar wechselte er den Wohnort. Er zog nach Bergisch-Gladbach in Nordrhein-Westfalen. Bei dem Versuch, im Februar in Richtung Türkei auszureisen, fiel er bei einer Grenzkontrolle in Oberbayern auf. Nun hat er Deutschland auf illegalen Wegen verlassen – mutmaßlich Richtung Syrien. Ob er dort eingetroffen ist, dazu schweigt der Verfassungsschutz.

Ist Ibrahim M. ein Einzelfall? Die Verfassungsschützer verneinen. Aus dem Bundesgebiet seien im Jahresverlauf mehrere Dutzend Islamisten in islamische Länder ausgereist, sagte der Sprecher des baden-württembergischen Verfassungsschutzes. Es seien jedoch nicht alle von ihnen militant.

Gemeindevorsteher versteht die Aufregung nicht

Für den Pforzheimer CDU-Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum zeigt das Beispiel Ibrahim M., »dass sich islamistischer Extremismus nicht nur vor unserer Haustür, sondern auch hinter unseren Haustüren abspielt. « Wichtig sei, dass die Sicherheitsbehörden in ihrer Wachsamkeit nicht nachließen. Er kommt zu dem Schluss: »Die Bedrohung durch islamistischen Extremismus ist brisanter denn je.«

Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion, sagte, der Fall zeige, dass es neben den Einzeltätern gefestigte Strukturen gebe. Es gelte der Satz: »Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber jeder fundamental-islamische Terrorist ist Salafist.« Hartmann empfiehlt eine differenzierte Analyse. Wer alle Salafisten zu potenziellen Gewalttätern stemple, könne sie in die falsche Richtung treiben.

Der Gemeindevorsteher in Pforzheim versteht die ganze Aufregung nicht. Er sieht sich und die Seinen in ein falsches Licht gerückt, schließlich gelte in seiner Moschee: »Wer radikal wird, fliegt raus.«