Bundeswehrsoldaten bewerten das umstrittene Sturmgewehr G36, das in Oberndorf produziert wird, durchweg positiv. Foto: Burgi

Von der Leyen und die plötzliche "Verlässlichkeit": Sturmgewehr aus Oberndorf laut Prüfkommission im Gefecht besonders zuverlässig.

Oberndorf/Berlin - Heckler & Koch (HK) hat schon immer betont: Beim Sturmgewehr G36 gibt es keine Präzisionsprobleme. Das Oberndorfer Unternehmen, Hersteller der Standardwaffe der Bundeswehr, war sicher: An der Laboruntersuchung aus dem Frühjahr, die Mängel bescheinigte, muss etwas faul sein. Trotzdem musterte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das G36 im vergangenen Monat endgültig aus – das Ergebnis der von ihr selbst eingesetzten Prüfkommission wartete sie nicht erst ab.

HK reagierte schon im April, nachdem von der Leyen verkündet hatte, "dass das G36, so wie es heute konstruiert ist, keine Zukunft in der Bundeswehr hat". Das Unternehmen wehrte sich, unter anderem, indem es aus Zuschriften zitierte. Wie die Aussage von Herrn S. aus M. "Ich selber konnte der Kritik an dem G36 noch keinen Glauben schenken, da ich diese Erfahrung im extremen Dauerfeuer noch nicht gemacht habe." Und: "Es ist nicht umsonst die Lebensversicherung aller deutschen Soldaten in Auslandseinsätzen." Oder Herr S. aus E. schreibt: "Wenn es nicht so absolut unglaublich wäre, würde ich davon ausgehen, dass hier ein gezielter Angriff auf Ihre Firma geführt wird mit der Absicht, Soldaten zu verunsichern."

Befragte Soldaten loben: bedienungsfreundlich und kaum störanfällig

Seit gestern wird auch schwarz auf weiß von der Prüfkommission bestätigt, dass kein Soldat Probleme mit der Treffsicherheit festgestellt hat. Die Prüfer stellten bei der Befragung von 200 Soldaten sogar fest: "Die einsatzerfahrenen Soldaten haben die Qualifizierung des G36 als Pannengewehr widerlegt."

Präzisionsmängel im Gefecht hätten die Soldaten etwa in Afghanistan nicht wahrgenommen. Es sei niemand im Einsatz gefährdet worden. Im Gegenteil: Das Standardgewehr der Bundeswehr sei durchgängig als bedienungsfreundlich, leicht und kaum störanfällig gelobt worden. "Die Verlässlichkeit wurde besonders hervorgehoben", hieß es aus der Kommission, deren Ergebnisse der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei und der frühere Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus gestern in Berlin vorstellten.

Über Jahre war eine Untersuchung nach der anderen durchgeführt worden. Die Bewertungen fielen unterschiedlich aus. Eine Studie des Bundesrechnungshofs, des Ernst-Mach-Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft, der Wehrtechnischen Dienststelle der Bundeswehr und des Wehrwissenschaftliche Instituts für Werks- und Betriebsstoffe beispielsweise hatte im Mai ergeben: Sowohl bei hohen Außentemperaturen als auch bei einer Erhitzung der Waffe durch Dauerfeuer gebe es Präzisionsprobleme. Der Todesstoß für das G36 in der Bundeswehr. Von Soldaten und aus anderen Armeen kam dagegen keine Kritik. Und jetzt noch das Lob der Prüfungskommission. Was also trieb die Ministerin zu dieser Entscheidung?

Von der Leyen hielt sich gestern bedeckt. Sie wolle analysieren, auswerten und dann in Ruhe Konsequenzen ziehen – und das, obwohl noch die Entscheidung über die endgültige Ausmusterung eiligst getroffen worden war. Unter der Hand verteidigte ihr Ministerium das Aus für das G36 vehement. Es wäre bei solch eindeutigen Laborergebnissen "unverantwortlich" gewesen, mit dem G36 so weiterzumachen wie bisher. Das G36 habe eine "objektive Schwäche", hieß es. Nur: Die wurde gestern widerlegt.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Henning Otte (CDU), versuchte sich in einer Erklärung: "Das G36 ist kein Schrottgewehr." Kein Soldat sei durch ein G36-Sturmgewehr je zu Schaden gekommen. "Aber auch Gutes kann noch besser werden. Deswegen ist es richtig, dass die Bundeswehr nach über 20 Jahren und angesichts der festgestellten Präzisionsabweichungen ein neues Sturmgewehr bekommt. Schon aus Verantwortung und Fürsorge gegenüber unseren Soldaten müssen wir ihnen die bestmögliche Ausrüstung zur Erfüllung ihrer stetig wachsenden Aufgaben zukommen lassen." Kritiker monieren allerdings, um die Soldaten gut auszurüsten, wären das ganze Hin und Her, die Verunsicherung der Truppenmitglieder – noch gibt es schließlich keinen G36-Ersatz – und die massive öffentliche Kritik an Heckler & Koch nicht nötig gewesen. Das Ministerium will jedenfalls auch weiterhin Ansprüche wegen Qualitätsminderung gegen Heckler & Koch geltend machen. Das Unternehmen will seinerseits gerichtlich feststellen lassen, dass das Gewehr keinen Mangel hat. Die G36-Affäre brodelt also weiter.