Die Kontaktpflege, der Meinungsaustausch stehen beim Oberndorfer Bürgertreff, dem gesellschaftlichen Höhepunkt des Jahres, im Mittelpunkt. Foto: Schmidtke

Die Kraft der Provinz: Rede von Heribert Prantl in der Klosterkirche sorgt für Gesprächsstoff.

Oberndorf - Wer zählt, was zählt? Auf diese Fragen hat der Jurist, Autor und Journalist Heribert Prantl beim 16. Bürgertreff in der Klosterkirche behaglich-scharfsinnige Antworten, die seine Zuhörer sanft auf das Fest der Liebe einstimmen.

"Schön hamm’ Sie es hier. Wunderschön." Kaum am Rednerpult, hat der Gastredner bei den Oberndorfern bereits gepunktet. Rund 60 Minuten spricht Prantl am Freitag in der Klosterkirche über Bürgertugenden, über Flüchtlinge, über den Umgang mit alten Menschen. Er spricht klug, vertieft, "wohltuend", wie Bürgermeister Hermann Acker meint.

Sein Blick ist sanft, wenn er gesteht: "Ich mag die tiefste Provinz. In der Provinz steckt die Kraft Deutschlands." Ein Kollege in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung, wo er das Ressort Innenpolitik leitet und zur Chefredaktion gehört, habe Oberndorf als Provinz bezeichnet. Ein Grund für Prantl klar Position zu beziehen. "Provinz ist ein guter Platz, um sich daheim zu fühlen."

Von dieser kleinen Welt aus startet er in die Tiefen der Werte-Gesellschaft. "Es gehört zu den Bürgertugenden, Menschen anzunehmen – und diese Annahme beginnt damit, dass man sie nicht deswegen abschiebt, weil sie gerade nicht in die ökonomischen Raster passen. Das gilt für Flüchtlinge, das gilt für Langzeitarbeitslose, das gilt für Behinderte und für alte Menschen auch."

Die Europäische Union mit ihren 510 Millionen Menschen erstickt nicht, wenn sie Kriegsflüchtlinge aus Syrien aufnimmt, sagt Prantl. "Dieses Europa erstickt, wenn es sie nicht aufnimmt: Es erstickt dann an seinem Geiz, an seinen nationalen Egomanien und an seiner Heuchelei."

Die aufmerksamen Zuhörer applaudieren. Prantl streift seine Armbanduhr ab, legt sie neben das Mikrofon. Sein Manuskript für diesen Abend umfasst mehrere Dutzend Seiten. Er redet mehr, redet inniger, spickt seine Sätze mit Persönlichem. Die Suche nach einem Pflegeplatz für seine 90-jährige Mutter habe ihn für den Umgang mit alten Menschen sensibilisiert.

"Die Kunst besteht darin, demente Menschen nicht mit Kleinkindern zu vergleichen und wie Kleinkinder zu behandeln, sondern sie weiterhin als Erwachsene ernst zu nehmen."

Früher habe das Leben aus Frühling, Sommer und Winter bestanden, also aus Kindheit, Arbeit und Sterben. Mit der längeren Lebenszeit sei noch ein Herbst dazugekommen. "Das große und lange Altern ist so neu, dass es die Menschen noch gründlich lernen müssen. Wenn sie es gut lernen, wird das die Gesellschaft grundlegend verändern", meint Prantl.

Im dritten Teil seiner Festansprache interpretiert er, der Jurist, die Dreikönigs-Geschichte neu. "Man findet Gott nicht im Wettlauf, nicht im religiösen Wettkampf, man findet ihn untereinander." Man finde ihn im Reden mit den anderen und in der gemeinsamen Suche.

Und hier schloss sich der Kreis für Prantl wieder: "Miteinander suchen, Gemeinsamkeiten finden, einen gemeinsamen Weg gehen. Das sind deutsche, das müssen europäische Bürgertugenden sein, ob man nun religiös ist oder nicht."