Mohammed Raffi konvertierte 2018 zum Christentum. Nun wurde er in den katholischen Kirchengemeinderat gewählt. Foto: Hauser

Kirchengemeinderats-Mitglied Mohammed Raffi kam über Umwege zum Christentum - und fand eine neue Heimat.

Oberndorf - Andersdenkende werden im strengen Regime des Irans nicht gerne gesehen. Mohammed Raffi ist einer, der anders denkt. Seit vier Jahren lebt er mit Frau und Kindern nun in Deutschland und hat in Oberndorf eine neue Heimat gefunden. Die ganze Familie ist zum Christentum konvertiert - Raffi ist inzwischen sogar Mitglied im örtlichen Kirchengemeinderat. Uns hat er seine Geschichte erzählt.

Mohammed Raffi aus Oberndorf erinnert sich gerne an seine Taufe: Alles begann mit einer Legende, die er las. Es ging um den heiligen Christopherus, den Schutzpatron der Reisenden. Darin bat ihn ein Kind, ihm über einen Fluss zu helfen. Christopherus trug es auf seinen Schultern, doch mit jedem Schritt wurde es schwerer. Am anderen Ufer angekommen, sagte er zu dem Kind: "Du warst mir so schwer, als ob ich die ganze Welt auf meinen Schultern trug." Das Kind offenbarte ihm, dass er genau das tat. Es war Jesus Christus selbst.

„Christopherus war ein sehr starker Mann“, erklärt Raffi. „Aber er hatte auf seiner Reise durch den reißenden Fluss einen noch stärkeren Wegbegleiter.“ Der Patron sei seitdem sein Vorbild. Er habe Raffi inspiriert. Und ihn überzeugt.

Als Freigeist hatte er es schwer

Stark sein mussten auch Mohammed Raffi und seine Familie - damals, als sie noch im Iran gelebt haben. „Die Menschen dort sind gut“, erinnert sich der Metallbauer. „Aber das Regime nicht.“

Er redet von einer grausamen Diktatur, von Unterdrückung, von Terrorismus. Von vielen Verboten und strengen, gar unvorstellbaren Regeln. „Es gibt dort nicht viele Christen. Der Islam ist die Religion des Staates. Frauen sind sogar verpflichtet, Kopftücher zu tragen. Ob sie wollen oder nicht.“ Andersdenkende werden nicht gerne gesehen. Und so einer war Raffi.

„Ich habe immer Fragen gestellt“, sagt der Mann. „Vor etwa 30 Jahren hatte ich viele Fragen an den Islam.“ Er dachte nach über den Sinn hinter den Ideologien. Ideologien, auf deren Fundament Kriege ausbrechen. Raffi verglich die Religionen, suchte nach ihren Argumenten, Vorteilen und Problemen. Er weiß nun, dass alle Religionen Potenzial bieten sowie negative Seite haben. Und ihm wurde klar, dass das Christentum die Religion ist, mit der er sich am stärksten identifizieren kann.

Seit vier Jahren lebt der Iraner mit Frau und Kindern nun in Deutschland. Als die Familie als Flüchtlinge ins Land kamen, begann ihr neues Leben in Heidelberg. Nach kurzer Zeit ging die Reise weiter, nach Oberndorf am Neckar. Hier sind sie angekommen. Und das in jeder Hinsicht. Raffi wird als Metallbauer von seinen Kollegen geschätzt, seine Kinder sprechen inzwischen besser deutsch als persisch und er hat niemals damit aufgehört, Fragen zu stellen.

In Oberndorf lernte er Pfarrer Martin Schwer von der katholischen Kirche kennen. „Die Betreuung von Flüchtlingen ist eine unserer Kernaufgaben“, erklärt der Pfarrer. „Besonders als der Zustrom stark war, haben wir den Menschen geholfen, Möbel und Kleidung zu finden, Behördengänge zu bewältigen und andere alltägliche Aufgaben zu meistern.“ Es gehe darum, den Neuankömmlingen das Ankommen zu erleichtern. „Es ist nicht in unserem Interesse, Leute zu missionieren oder ihnen einen anderen Glauben aufzudrängen“, versichert Schwer. „Aber wenn jemand von sich aus auf uns zukommt und mehr über das Christentum erfahren möchte, stehen wir ihm natürlich zur Seite.“ So sei es bei Raffi und seiner Familie gewesen.

Es gab viele Gespräche zwischen Raffi und Schwer. Und Raffi wuchs mehr und mehr in die Gemeinde hinein. Er erschien auf Veranstaltungen und half, Feste zu organisieren. Auch die Messen ließ er sich nicht entgehen. „Die Kirchengemeinde hat mich schnell und freundlich aufgenommen“, erinnert sich der Iraner.

Bevor die Familie zum Christentum konvertierte, musste sie einen Antrag an den Bischof stellen. „Wir wollen, dass das etwas hoch Offizielles ist“, sagt Pfarrer Schwer. „Es geht hier um eine fundamentale Gewissensentscheidung, die nicht leichtfertig getroffen werden sollte. Da muss man sich schon sicher sein.“ Und die Raffis waren sich sicher.

In der Gemeinde angekommen

Die Taufe fand im Januar 2018 statt. Und nun, zwei Jahre später, ist die Familie ein fester Bestandteil der katholischen Gemeinschaft. „Mehrere Leute meinten zu mir, ich solle doch bei der Kirchengemeinderatswahl kandidieren“, erinnert sich Raffi. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Die Wahl fiel zu seinen Gunsten aus. Sein Engagement hat sich bezahlt gemacht. Und Raffi freut sich über die Wertschätzung, die ihm entgegengebracht wird.

„Einfach helfen zu können“, ist Raffis Antwort auf die Fragen nach seinen Zielen im Kirchengemeinderat. „Und zwar, so viel wir können.“ Wäre er nicht gewählt worden, so versichert er, würden er und seine Familie trotzdem weiterhin mithelfen, wo es geht.

Angesichts der Corona-Krise, die die Welt gerade in Atem hält, haben die neuen Gemeinderäte keinen leichten Start. Im Juni war ein ganzer Tag eingeplant, an dem sie auf ihre Aufgaben vorbereitet worden wären. Dieser muss verschoben werden. Ebenso wie die ersten Sitzungen, die für gewöhnlich alle vier Wochen stattfinden. Dort werden Aufgaben verteilt, zu denen es zum Beispiel gehöre, Feste zu organisieren oder Veranstaltungen vorzubereiten, erklärt Schwer. Aufgeschoben ist jedoch nicht aufgehoben.

Raffi jedenfalls freut sich auf die ersten Aufgaben, die sein neu errungenes Ehrenamt mit sich bringt. Sich einzubringen und zu helfen. Und das im Rahmen seiner Kräfte und mit einem starken Wegbegleiter an seiner Seite: seiner Religion. „So wie Christopherus“, meint Raffi. „Ich muss mich bei vielen Menschen hier bedanken“, sagt er. Er nennt Pfarrer Schwer, seinen alten sowie seinen neuen Chef, seine Kollegen und viele Personen aus der Gemeinde. Hier hat er sie gefunden - die Nächstenliebe, die er damals vermisste. In seinem früheren Leben.