Das Interesse an der Kandidatenvorstellung in der Klosterkirche ist am Dienstag groß. Foto: Danner

Ungewöhnliche Kandidatenvorstellung in Klosterkirche. 20 Minuten Redezeit. Keine Fragen erlaubt. Mit Video und Kommentar

Oberndorf - Das Gesicht der Stadt Oberndorf, die Symbolfigur der Unzufriedenen und ein Wut-Theater-Troll waren die Darsteller eines ganz besonderen Abends in der Klosterkirche.

Eingerahmt vom Heiligen Petrus links und dem Heiligen Thomas rechts, steht Roland Biswurm in der Mitte. Das ist das Bühnenbild gegen 20 Uhr in der Klosterkirche. Er ist der dritte Kandidat, der am Dienstag ans Rednerpult tritt. Und er ist die große Unbekannte bei dieser Kandidatenvorstellung. Obwohl er in Oberndorf geboren und vielen Bürgern durchaus bekannt ist, wird sein Auftritt mit Spannung erwartet. Welche Rolle hat sich der Theatermensch für seine Heimatstadt, die er gerne als "verreckende Perle am Neckar" bezeichnet, ausgedacht?

Biswurm, von den Zuhörern wie bereits Hermann Acker und Hans-Joachim Thiemann vor ihm mit Applaus empfangen, streift  seinen Rucksack mit der Aufschrift "Bayerischer Rundfunk" ab, legt ihn zusammen mit seinem Stockschirm sorgsam auf die Bühne. Er zaubert eine Eier-Uhr und ein rotes Täfelchen mit der Aufschrift "Nein" heraus und positioniert sich – um minutenlang erst einmal stumm wie ein Pantomime-Darsteller zu verharren. "Hat's Euch gefallen, hat's Euch überzeugt?" will er wissen. Die Uhr tickt. Die Zeiger springen auf Unterhaltung.

"Hallo Oberndorf, schlaft Ihr schon?"

Er bleibt beim Frage-Spiel: "Wo ist das Zentrum der Stadt, wo ist ihr Herz?" und schreit ins Mikro: "Hallo Oberndorf, schlaft Ihr schon?" Jetzt schlägt's Comedy. Und dem Stadtrat in der zweiten Reihe entfährt ein inniges  "Heidefez". Biswurm schmeißt das Laptop an und projiziert einen Film aus den 1970er-Jahren auf die Leinwand. "Ihr müsst wütend werden", johlt da ein Schauspieler ins Publikum herab. Manche nehmen's wörtlich und verlassen den Saal. Biswurm winkt ihnen stoisch hinterher. Die Geflüchteten verpassen eingespielte Worte des Oberbürgermeisters von Osnabrück, die den Performer offensichtlich schwer beeindruckt haben. Drei Minuten vor Ende seiner Redezeit ist der Wut-Theater-Troll fertig, sein Publikum wohl auch. "Lasst die Stille auf Euch wirken", gibt er seinen Zuhörern mit auf den Weg.

Jetzt schlägt's für viele "13"

Drehen wir die Uhr 40 Minuten zurück. Da stand der Ex-Stadtbaumeister an Biswurms Stelle. Sein Auftritt wurde ebenfalls mit Spannung erwartet, der Inhalt war allerdings für viele vorhersehbar. Hans-Joachim Thiemann nutzt seine Redezeit, um den Oberndorfern endlich frank und frei von seiner gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Stadtverwaltung ("im Vergleich wurde ich von allen Vorwürfen freigesprochen"), von seiner Fehde mit Hermann Acker und von personellen Veränderungen im Rathaus zu berichten, würde er ins Bürgermeisterzimmer einziehen.Er schlägt den Fraktionsvorsitzenden vor, sich "neue Wege des bürgerschaftlichen Engagements zu suchen", sollten sie in keinen konstruktiven Dialog mit ihm als Bürgermeister treten. Jetzt schlägt's für viele "13". "Aufhören" tönt es ihm entgegen. "Leute, das ist Demokratie", antwortet Thiemann auf die schrillen Pfiffe gelassen. Seine Zeit ist um.

Ob dies der "erfrischende und faire Wahlkampf" ist, den sich der Amtsinhaber zu Beginn seiner Redezeit wünschte? "Für mich stellt die Bürgermeisterwahl etwas Essentielles für die Stadt dar." Er vermisst die Ernsthaftigkeit. Acker dreht die Uhr zurück und berichtet über die Aktivitäten in den vergangenen 16 Jahren: zahlreiche Bauvorhaben, Bildungsangebote, Standortsicherung, bürgerschaftliches Engagement, Krankenhaus – "an allem habe ich einen großen Anteil" resümiert er. Das Erreichte lässt sich unmöglich in 20 Minuten packen. Draußen wartet der nächste Kandidat. Das Bühnenbild wechselt, die Show beginnt.

Nachfolgend unser Video von der Kandidatenvorstellung mit Umfrage. Weiter unten finden Sie die Worte der Kandidaten im Einzelnen.

Kandidat Hermann Acker

"Im Standortwettbewerb mit anderen Kommunen können wir in jeder Hinsicht Schritt halten", so Hermann Acker. Sein Bemühen um Industrie und Gewerbe sei ein zentrales Anliegen und prägten auch seine ersten beiden Amtsperioden. Die Erhaltung und der Ausbau des Krankenhauses war wohl sein größte Wurf. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei ihm eine "Herzenssache". "Niemand weiß, was uns die Zukunft bringt und wie sich die Finanzsituation entwickelt. Deshalb wäre es nicht aufrichtig, Versprechungen zu machen", sagt Acker. Er könne aber sehr wohl versprechen, sich auch künftig mit "voller Hingabe und mit ganzem Herzen" für die Stadt als Bürgermeister zu engagieren.

Kandidat Hans-Joachim Thiemann

Als "bedeutenden Tag" in seinem Leben bezeichnet Hans-Joachim Thiemann den vergangenen Dienstag. Zum ersten Mal habe er in der Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich zu seiner "ungerechtfertigten Kündigung" und der "Diffamierungskampagne" zu äußern. Unabhängig vom Streit zwischen ihm und Hermann Acker sei es "Zeit für einen Wechsel an der Spitze der Stadtverwaltung".

Er wolle das "sinkende Schiff" wieder flott machen und in volle Fahrt bringen. "Es wird Zeit, wieder die Bestandserhaltung vor die Investition in Prestigeprojekte zu stellen, damit unsere Infrastruktur nicht noch weiter verkommt. Hier sehe ich definitiv Nachholbedarf."

Kandidat Roland Biswurm

"Ich kann Fragen aufwerfen", sagt Roland Biswurm. Damit will er "Sand im Getriebe sein, auf keinen Fall Öl." Warum steht das Volksbank-Gebäude da, wo es steht? Warum ist der Stadtgarten nicht mehr das, was er mal war? Ist das alles nichts mehr wert? Warum bin ich heute hier? Warum lobt Oberndorf keinen Friedenspreis aus? Wo befindet sich unsere Mitte?

"Ihr müsst wütend werden", empfiehlt er seinen Zuhörern. Dann ließe sich etwas verändern. "Man muss radikal umdenken, wenn man die Welt verändern will." Er fordert unter anderem in einer seiner Internetbotschaft: "Holt neue Leute nach Oberndorf, inkludiert die unterschiedlichen Kulturen."

Kommentar: Demokratie

Von Marcella Danner

Was muss eine Demokratie aushalten? Ganz einfach – alles, was nicht verfassungswidrig ist. Dazu gehören auch Kandidaten, die polarisieren. Dazu gehört eine Vorstellung, die teils zum Seelenstriptease, teils zur Performance gerät – wie am Dienstag in der ehemaligen Klosterkirche geschehen. Wem das missfiel, der konnte den Raum verlassen. Auch das ist passiert. Mancher war erst gar nicht gekommen, weil er nicht erleben wollte, wie seine Stadt womöglich in Misskredit kommt. Mancher blieb der Veranstaltung allerdings fern, weil der Verwaltungsausschuss beschlossen hatte, keine Fragen an die Kandidaten zuzulassen. Die Gemeindeordnung lässt das zu. Aber hilft es der demokratischen Meinungsbildung? Die Oberndorfer sollten jedenfalls am 5. Juli ganz demokratisch ihr Wahlrecht wahrnehmen und zur Urne gehen – davon lebt die Demokratie.