Dorothée Diem (am Rednerpult), 1. Bevollmächtigte der IG Metall, übernahm die offizielle Begrüßung der Festgäste zur Maikundgebung im Nagolder Naturfreundehaus. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

1. Mai-Feier: Für Gewerkschafter gibt es noch genügend Reizthemen

Von Axel H. Kunert

Kreis Calw. Für das miese Wetter seien natürlich allein die Arbeitgeber verantwortlich, lachte DGB-Regionalsekretärin Elke Wach angesichts des Dauerregens am gestrigen Morgen. So wurde die Festveranstaltung zum 1. Mai der Gewerkschaftsverbände der Kreise Calw und Freudenstadt kurzerhand ins Innere des Nagolder Naturfreundehauses verlegt.

Und hier wurde es dann "richtig kuschelig", wie die Gastrednerin des Tages, Sabine Zach von der IG Metall Bezirksleitung Berlin, beim Blick vom Rednerpult aus in die Runde fand. Zach löste mit ihrer Reise in den Nordschwarzwald ein Versprechen ein, das sie 2014 gegeben hatte – da war sie noch bei der IG Metall Bezirksleitung in Stuttgart beschäftigt.

Aber bei den Themen, die Zach auf ihrem elfseitigem Redemanuskript zusammengetragen hatte, war es denn gar nicht mehr so kuschelig, sondern eher hitzig und kämpferisch. Geradezu in Rage predigte sich Arbeits- und Tarifkämpferin Zach mit zunehmend heiserer Stimme. Und traf dabei aber klar den Nerv der fleißig applaudierenden, rund 150 Gewerkschafter, die trotz des Wetters gekommen waren.

Erstes Reizthema – nach wie vor: Der Mindestlohn, die "größte Errungenschaft der Arbeitnehmervertreter" des vergangenen Jahres. Aber "die Arbeitgeber blasen inzwischen zum Gegenangriff gegen den Mindestlohn – mit allem was sie haben", zog Zach klare Fronten. So würde der Mindestlohn zunehmend als Bürokratiemonster diffamiert und mit "immer haarsträubenderen Methoden" von den Arbeitgebern umgegangen: Aus Arbeitsverhältnissen würden Praktika, aus bezahlter Zeit würden unbezahlte Überstunden.

"Haarsträubende Methoden der Arbeitgeber"

Und manchmal behaupteten Arbeitgeber einfach, für ihre Branche würde der Mindestlohn nicht gelten. "Der DGB hat eine Hotline eingerichtet. Da erreichen uns täglich 300 bis 400 solche Beschwerden." Erwartet hatte man bei der Gewerkschaft schlimmstenfalls hundert Anrufe pro Tag.

Das Thema Überstunden – und der Abbau genau dieser – sei, so hatte bereits Dorothée Diem, 1. Bevollmächtigte der IG Metall im Kreis Freudenstadt, in ihrer Begrüßung angerissen, ein weiteres Thema, das gerade die hiesige Region und besonders den Kreis Freudenstadt betreffe. In keinem anderen Land würden so viele Überstunden geleistet wie in Deutschland. Und an der Spitze in Deutschland stünde wiederum Freudenstadt. Drei Überstunden würden hier von den Arbeitnehmern pro Kopf und Woche geleistet, wobei die Dunkelziffer der unbezahlten Überstunden sicher noch sehr weit darüber liegen dürfte, so Diem.

Also bleibt noch viel zu tun für die Arbeitnehmervertreter. Das gelte auch für die Eindämmung der prekären Beschäftigungsverhältnisse wie Minijobs, Leiharbeit oder Werkverträge und Scheinselbständige, die heute, so Sabine Zach, für moderne Sklaverei stünden und nur der Umgehung von selbst minimalsten Sozialstandards dienten. Die gleiche Thematik – gezielter Abbau von Sozialstandards – machte Zach auch als Kern der aktuellen Probleme in Griechenland und als drohendes Szenario aus den derzeit laufenden TTIP-Geheimverhandlungen zur Freihandelszone zwischen Nordamerika und Europa aus.

Aber bei allem permanenten Arbeitskampf auch im 125. Jahr des offiziellen Kampftages der Arbeiterbewegung – die mittlerweile zum vierten Mal im Nagolder Naturfreundehaus stattfindende gemeinsame Veranstaltung der Gewerkschafter aus den Nachbarkreisen Calw und Freudenstadt ist auch stets ein großes fröhliches Familientreffen. Auch wenn Glühwein gestern sicher größeren Absatz gefunden hätte als der wegen der Außentemperaturen stets kühle Sekt zum Jubiläumsjahr – der Stimmung bis tief in den Nachmittag hinein tat das keinen Abbruch.