Das Duo "Suchtpotenzial" setzte sich in der Semihalle provokant zwischen alle Stühle. Foto: M. Bernklau Foto: Schwarzwälder-Bote

Kleinkunst: Das Frauen-Duo "Suchtpotenzial" macht in der Alten Seminarturnhalle seine derben Musikspäße

Lustvoll, frech und ziemlich provokant setzen sich die beiden Frauen zwischen alle Stühle. Das Duo "Suchtpotenzial" war am Freitagabend Bistrogast mit seiner "Alkopop"-Revue in der ganz gut besetzten Alten Seminarturnhalle.

Nagold. "Musik von Betrunkenen für Betrunkene" nennen die schwäbische Pianistin Ariane Müller und die Berliner Sängerin Julia Gámez Martin das, was sie da unter dem metallica-artig gezackten Label "Suchtpotenzial" veranstalten. Berlin und Schwaben – schon diese Kombination ist hanebüchen, glaubt man den Kriegsberichterstattern von der Schwabenhasserfront in Berlin-Mitte und vom Prenzlauer Berg.

Kennengelernt haben sie sich beim Musical, am Ulmer Theater. Katja Ebstein, die Grand Dame des anspruchsvollen deutschen Schlagers, soll sie bei einem Chanson-Wettbewerb mit dem Trostpreis verhöhnt haben. "Zu fett fürs Ballett, zu brav für Wacken" (das alljährliche Heavy-Metal-Woodstock der Headbanger in der Heide) "fürs Kabarett viel zu heiß, fürs Altenheim zu laut und für den Kindergarten viel zu versaut" nennen sie sich. Da ist was dran.

"Ich will ’nen Bauer als Mann", fürs Bett, kündet Julia von ihrer heimlichen Landlust und Hauptstadt-Landliebe, um ihr Nagolder Publikum als "schon viel zu städtisch" zu ärgern.

Aber das bekommt dann halt "die Drecksau-Version" des Alkopop-Programms mit dem Untertitel "Ficken für den Frieden". Was ein Ingo Appelt kann, das wuppt Suchtpotenzial im Doppel mit links, mit Hüftschwung, Spagat und mit Ariane Müllers edel wallender Löwenmähne. Die Frau am Klavier und die Powerstimme Julia zeigen, dass sie das schon auch gekonnt hätten: Fahrstuhl-Jazz.

Aber sie wollen "die Sau rauslassen", den Sex, das Saufen, die Drogen und den Rock’n’Roll auf ihre Art verherrlichen, was dann auch mal als Helene-Fischer-Parodie, als Sarah Connors Nationalhymne ("Brüh im Glanze"), als Fetzen einer Klaviersonate oder verbal-pornografischer Gangsta-Rap daherkommen kann.

Schwaben und Berlin, das ist ein ergiebiges Leitmotiv. Schließlich will man ja "reich und (!) sexy" sein statt bloß entweder hippe Hauptstädterin oder spießige Wohnungsbesitzerin: "Wo ist der Schwabe in mir", fragt frau sich. Zwischen Penisneid beim Pinkeln und Vaginaneid ("Frauen können immer!") gibt es wenigstens beim Essen eine Lösung für das Berliner Schwabenproblem.

"Pommes Schranke" heißen die rot-weißen Fritten dort. In einem Food-Truck oder der althergebrachten Bude namens "Stand-Ess-Amt", so sinniert das Duo, könnten sich doch frittierte Spätzle mit Ketchup und Mayo vermählen und verticken lassen, zur finalen kulinarischen Völkerverständigung zwischen Schwaben und Berlinern.

Den bösesten Kniff haben sich die beiden knitzen Suchtpotenzial-Weiber zur Abwehr übergriffiger Männer ausgedacht: Schwäbisch schwätzen wie der Seitenbacher-Mann. Das wirkt nicht nur als Selbstverteidigung. Das tötet auch sonst alle Erotik.

Das Nagolder Publikum ließ sich gern ärgern und irritieren von diesem Duo, das eine verteufelte Lust daran hat, jede fröhliche Comedy-Stimmung sofort wieder krass zu kontern.