Stuttgarter Saloniker sorgen für ein volles Haus

Von Dorothee Trommer

Nagold. Die Alte Seminarturnhalle wirkte an diesem Nachmittag wie ein Kaffeehaus, in dem ein Unterhaltungsorchester aufspielt. In Wien findet man das häufig, doch in Nagold gibt es ein solches Erlebnis nur dann, wenn die Saloniker aus Stuttgart aufspielen. Das wollten sich sehr viele Besucher nicht entgehen lassen.

Bei Bistrobestuhlung und Kaffeeduft konnte die abwechslungsreiche Musik genossen werden. Die Neujahrskonzerte der Stuttgarter Saloniker bieten konzertante Salonmusik vom Feinsten. Das Stammhaus der Saloniker ist die Villa Franck in Murrhardt, das 1904 bis 1907 für den Ludwigsburger Zichorienkaffee-Fabrikanten Robert Franck als Sommerresidenz errichtet wurde. Hier widmet sich Patrick Siben mit den Salonikern einer kulturell reichhaltigen Epoche: Von der Jahrhundertwende bis in die Zwanziger Jahre wurden Klassik, Oper, Operette, aber auch Musical, Tonfilmschlager, Early Jazz und Latin gepflegt.

Den Beginn in Nagold machten die Musiker mit der "Fledermaus" von Johann Strauß. Patrick Siben erklärte dem Publikum, dass sie sich seit 25 Jahren mit der Musik der Großmütter und- väter beschäftigten. Das Salonorchester ist eine extrem flexible Erfindung des 19. Jahrhunderts für das Wohnzimmer. Stolz, dem Adel die Kulturhoheit abgetrotzt zu haben, entwickelte das Bürgertum eigene Mittel Musik für sich selbst verfügbar zu haben. Salonorchester sind die Vorläufer der komplexen Musikautomaten und der modernen Medien. Sieben betonte: "Auch in Nagold hätte man ein solches Salon-Musikstück aufführen können, es genügte, ein paar höhere Töchter und Söhne zusammen zu rufen und schon konnte es losgehen." Auch der "Kaiserwalzer" von Walzerkönig Johann Strauß (Sohn) wurde in Nagold gespielt, ein Stück, das für den Frieden zwischen Österreich und Deutschland stehen sollte. Die Uraufführung fand im Jahre 1889 in Berlin statt.

König Wilhelm I. sorgte dafür, dass es in Stuttgart immer Theater, Oper und Ballett gab. In Zeiten ohne Kino waren dies die bewegten Bilder, welche den Menschen einfach Spaß machten. In Ulm wurde das erste Bürgertheater gegründet, Stuttgart und Heilbronn folgten.

"Diese Arbeit ist für Nagold Gold wert!"

1829 schrieb Gioachino Rossini mit "Wilhelm Tell" die letzte Oper seines Lebens. Grundlage ist das Schauspiel von Friedrich Schiller, der Inhalt wurde aber durch Zensur stark verändert. Siben berichtete, dass die Oper in der vorliegenden Fassung für Salonorchester in einer sogenannten Fantasie-Selektion auf ein "erträgliches Maß" von 15 Minuten gekürzt sei, sozusagen ein "Sampler" aus dem 19. Jahrhundert. Die Musiker verstanden es hervorragend, die Facetten der Geschichte des Freiheitskämpfers Wilhelm Tell von Tragik über Kämpfe bis hin zur Siegesfeier mitreißend darzustellen. Der blau beleuchtete Vorhang lieferte einen passenden Hintergrund für die Szenen, welche die Zuschauer sich in den Schweizer Bergen vorstellten, sogar Kuhglocken und Alphörner waren zu hören.

Patrick Siben führte das Publikum in die heimliche Nationalhyme der Amerikaner ein, nämlich "Stars and Stripes forever" von John Philip Sousa. 1896 komponiert, wurde das Stück zu Zeiten des Umbruchs bekannt: Schwarze spielten in weißen Salons und weiße Musiker schminkten sich teilweise schwarz.

Von der "höheren Tochter" Eva Brendle aus Stuttgart hat Patrick Siben Original Noten bekommen, und sie teilte ihm mit, dass sie in den 20er Jahren mit ihren Kumpanen "Hot Jazz" gespielt habe. Leider blieb ja in Deutschland bis 1949 die Musikentwicklung stecken, und erst nach dem Krieg konnte der Hunger nach Jazz gestillt werden.

Siben galoppierte mit Petersburger Schlittenschellen durch den Saal, berichtete von der Zusammenarbeit mit Kubanern und dankte dem Team der Alten Seminarturnhalle mit den Worten: "Diese Arbeit ist für Nagold Gold wert!". Zum Schlittschuhläuferwalzer schwangen einige das Tanzbein und als Zugabe beendete das Salonorchester mit dem Radetzkymarsch den Nachmittag sehr schwungvoll.