Helgard Jäger-Fahrenholt (rechts), ihr Mann Ernst und Nachbarin Gabriele Künert fürchten wie andere Anwohner in der Georg-Wagner-Straße um ihre Wohnqualität, sollte das Kreisbau-Projekt auf dieser Wiese im Bächlen realisiert werden. Sie kämpfen auch um den alten Kastanienbaum, der im Hintergrund zu sehen ist. Foto: Buckenmaier

Gegen Kreisbau-Projekt regt sich Widerstand. Anwohner fürchten um ihre Lebensqualität.

Nagold - Gegen den Bau eines Wohnprojekts der Kreisbaugenossenschaft Calw im Bächlen regt sich Widerstand – im Gemeinderat und in der Bürgerschaft. Anwohner sind nicht nur über die in ihren Augen zu massive Bebauung entsetzt, sondern auch über den Stil, wie von Seiten der Stadt Argumente "runtergebügelt" werden.

Eigentlich war das Grundstück in der Georg-Wagner-Straße 40 seit Jahrzehnten reserviert – für den Bau eines Kindergartens, falls Bedarf für einen solchen Hort entstehen sollte. Doch die große Wiese mit dem über 100 Jahre alten Kastanienbaum, der im Baumbuch der Stadt Nagold steht, blieb 40 Jahre lang ein kleines Erholungsgebiet, auf dem die Kinder im Winter Schlitten fuhren und sich im Sommer Schüler wie Kindergartenkinder tummelten. "Die Wiese war nicht tot, die lebte", sagt Helgard Jäger-Fahrenholt, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt.

Doch jetzt fürchtet sie und ihr Mann Ernst Jäger genauso wie die anderen Nachbarn um ihre Wohn- und Lebensqualität. Statt eines Kindergartens soll auf dem stadteigenen Areal ein großer Wohnkomplex entstehen – geplant von der Kreisbaugenossenschaft Calw, in der nicht nur Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden inne hat, sondern auch der Chef des Nagolder Planungsamtes, Ralf Fuhrländer, im Kontrollgremium sitzt.

Während OB Großmann in der Gemeinderatssitzung, als es um die für dieses Projekt notwendige Bebauungsplanänderung ging, als befangen vom Ratstisch abrückte, verteidigte Stadtplaner Fuhrländer gegenüber den bei der Sitzung anwesenden Anwohnern die Informationspolitik der Stadt. Man sei "in Gesprächen". Die Zuhörer reagierten gereizt. Von Gesprächen könne keine Rede sein. Fuhrländer hatte Jäger-Fahrenholt lediglich in einem unserer Zeitung vorliegenden Schreiben wissen lassen, dass "gegebenenfalls unzumutbare Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft geprüft" würden. Bis dahin bat er "um Geduld".

Doch die Anwohner wollen nicht warten, bis die Bagger anrollen. Stein des Anstoßes ist für sie zum einen die Zufahrt zur geplanten Tiefgarage, die entlang ihrer Grundstücke verlaufen soll. Bislang können die Anwohner in den Bungalows, wenn sie ihre kleinen Gärten pflegen, mit dem Rasenmäher über die Wiese auf ihr Grundstück gelangen. Gabriele Künert, die seit 30 Jahren hier wohnt, sieht sich schon ihren Mäher samt Grüngut durchs Wohnzimmer tragen. Noch schlimmer ist für sie indes die Vorstellung, dass – wenn das Projekt so wie geplant realisiert wird – sie aus ihrem Wohnzimmer auf eine viergeschossige Wand schauen muss.

Helgard Jäger-Fahrenholt weiß um die Notwendigkeit, dass in Nagold neuer bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden muss. Aber dabei müsse die Wohnqualität der schon lange hier wohnenden Anlieger erhalten bleiben, schrieb sie Stadtoberhaupt Großmann. Die Antwort kam von Stadtplaner Fuhrländer, um Geduld bittend.

Zentrale Forderungen der aufgebrachten Anwohner sind die Verlegung der Tiefgarageneinfahrt in die Mitte des Grundstückes, der Erhalt des alten Kastanienbaumes und nicht zuletzt eine Reduzierung der Gebäudehöhe.

Freie-Wähler-Stadtrat Michael Stikel wunderte sich in der Diskussion zu dieser Bebauungsplanänderung nicht nur über das Pultdach der beiden geplanten Wohngebäude, obwohl doch in diesem Bereich des Bächlens das Flachdach dominiere. Auch von einer maßvollen Verdichtung könne keine Rede sein: "Das ist ein Geschoss zu hoch."

"Dann rechnet sich das Projekt nicht mehr"

Bürgermeister Hagen Breitling verteidigte das Projekt: "Wenn Sie das Stockwerk streichen, können Sie auch das Wort kostengünstig streichen", weil sich das ganze Projekt dann nicht mehr rechne. Insgesamt sind hier 21 Wohnungen geplant, die vermietet werden sollen. Bei einem solchen Mietobjekt, erklärte Breitling, müsse man sich genau überlegen, welche "Fesseln" man sich anlege.

Kritik kam auch von der FDP. Fraktionschef Jürgen Gutekunst monierte eine zu "massive Bebauung". Brigitte Loyal (Grüne) plädierte dafür, die Wiese für einen Kindergarten zu reservieren, falls "ein Babyboom kommen sollte." "Dann wird uns was einfallen", konterte Breitling. Während SPD-Stadtrat Daniel Steinrode für den Erhalt des alten Kastanienbaumes eintrat, relativierte Breitling. Wenn man einen Baum und ein solches Mietobjekt gegenüber stelle, müsse man "sehr gut abwägen".

Die Aufstellung des Bebauungsplanes wurde mit Mehrheit beschlossen. Die Anwohner wollen sich nun rechtlichen Beistand holen.

Kommentar

Abschreckend

von Roland Buckenmaier

Es ist eine merkwürdige Diskussion, die der Stadtrat zur Wohnungsbauentwicklung in Nagold führt. Plötzlich ist alles zu massiv. Zu verdichtet. Zu hoch. Dabei weiß doch jeder um die Zwänge. Wer heute bezahlbaren Wohnraum schaffen will, kommt um eine verdichtete Bauweise nicht herum, weil aufgrund der zunehmenden Auflagen an anderen Stellen nicht gespart werden darf.

Weder an der energetischen Dämmung noch an der Sicherheit. Die Verwaltung liefert das, was der Stadtrat ihr aufgetragen hat: Statt auf der grünen Wiese überplant sie innerstädtische Freiflächen. Das ist gut und richtig so. Nur bei der Vorgehensweise ist noch reichlich Luft nach oben. Wenn man, wie im Bächlen, massiv in die vorhandene Bebauung eingreift, sollte man die Anwohner mitnehmen – und nicht vor den Kopf stoßen. Solche Diskussionen schrecken auch Investoren ab.