Daumen hoch für die ungewöhnliche WG. Foto: sb

Verein unterstützt Menschen mit Handicap bei der Wohnungssuche. In betreuter Wohngemeinschaft leben Frauen mit Behinderungen zusammen.

Nagold - Fröhlich winken sie vom Balkon ihrer Wohnung, die im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses auf dem Steinberg zu finden ist. Saskia Seeger, mit 19 Jahren die jüngste Mitbewohnerin einer ganz besonderen Frauen-WG, öffnet bestens gelaunt die Tür und bittet die Gäste hinein in ihre gute Stube. Leider sind ihre Mitbewohnerinnen noch in der Arbeit, dafür hat sich Besuch aus der Nachbarschaft eingefunden: Andreas Weber heißt der Gast, der bereits erwartungsfroh am Wohnstubentisch sitzt. Heike Adebahr-Röhrle ist gleichfalls ein Teil der fröhlich-wartenden Runde und mit Elke Salamon ist die Gruppe nun vollständig.

Alles ganz normal, sollte man meinen. Doch Heike Adebahr-Röhrle ist die ambulante Betreuerin der drei jungen Frauen, die sich innerhalb der vergangenen vier Jahre zugetraut haben, den Schritt aus dem Elternhaus in eine eigene Wohnung zu wagen. Ohne ihre Hilfe wäre dieses Vorhaben für Debora, Sara und Saskia gar nicht möglich, denn sie haben mit unterschiedlichen Behinderungen zu kämpfen.

"Kein Mensch möchte doch von sich aus in ein Heim. Mit einer ambulanten Wohnassistenz, die sich um die Belange der körperlich und geistig Behinderten kümmert, steigt jedoch die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und das bedeutet für die Betroffenen mehr Lebensqualität", erklärt Elke Salamon, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Oberes Nagoldtal, warum der Verein jenes bewundernswerte Projekt umsetzte. Seit 2008 ist Salamon Teil des Lebenshilfe-Teams und wurde eigentlich für die Beratung eingestellt. Mittlerweile leitet sie die Geschäfte und steckt nach wie vor voller Ideen und dem dazu notwendigen Enthusiasmus, um sie zu verwirklichen. Freilich spielen ihr da die kurzen Verwaltungswege im Verein und die Offenheit für ihre Kreativität in die Karten. "Im Jahre 2011 gab es übrigens die ersten Aufnahmen", erzählt Salamon weiter.

Es stehen alle Möglichkeiten offen

"Meistens führen wir erst einmal ein Gespräch mit den Eltern, die sich mit diesem Schritt oft überfordert fühlen. Aber etliche davon kennen wir ja seit vielen Jahren, weil sie unser Freizeitprogramm regelmäßig nutzen. Deshalb ist das Vertrauen da, um auf die Lebenshilfe – auch in dem Punkt – zuzugehen." Manch einer traut sich zu, eine Wohnung, ganz für sich allein, zu nehmen. Einigen ist der Schritt wiederum zu groß, respektive sie haben etwas Angst vor dem Alleinsein. Dann gibt es die Möglichkeit einer Wohngemeinschaft. Realisierbar ist zudem, in einer fremden Familie unterzukommen oder von Verwandten, wie beispielsweise Geschwistern, aufgenommen zu werden. Bei letzteren Möglichkeiten unterstützt der Verein beide Parteien – die Behinderten ebenso, wie die Familien. "Es stehen alle Möglichkeiten offen. Man muss nur den Bedarf anmelden und wir nehmen alles weitere in die Hand", erklärt Elke Salamon.

Wie sieht denn das Leben in solch einer Wohngemeinschaft aus? Betreuerin Heike Adebahr-Röhrle berichtet: "Ich bin im Grunde genommen für alle Lebensbereiche zuständig: Gemeinsames Einkaufen, Behördengänge, Arztbesuche und überhaupt gesundheitliche Dinge, wie die regelmäßige Einnahme von Medizin. Weiter achte ich darauf, dass sie sich pflegen, helfe ihnen, ihr Geld einzuteilen, ein Haushaltsbuch zu führen, stelle mich bei ihrem Arbeitgeber vor und bin somit auch deren Ansprechpartner, führe mit allen gemeinsam regelmäßig Gespräche und unternehme etwas mit ihnen."

Dabei sind die Anforderungen ganz unterschiedlich, erfährt man von der Betreuerin. Ein jeder sei einzigartig in seinen Interessen, Talenten und Bedürfnissen. Darauf gehe sie im Einzelnen ein und biete individuelle Unterstützung an. Außerdem gibt es Regeln, die es einzuhalten gilt, damit ein problemloses Miteinander möglich ist. Saskia berichtet stolz: "Wir haben einen Putzplan. Da wechseln wir uns ab. Mal ist die Küche dran, mal das Bad, mal das Wohnzimmer und ich hab mir heute mal mein Zimmer vorgenommen." Adebahr-Röhrle verrät, dass sie Saskia, die erst im Juli zu dieser Damen-WG dazu gestoßen ist, neulich die Bedienung der Waschmaschine erklärt hat. "Ab jetzt mach ich’s allein", kündigt daraufhin die Jüngste im Bunde begeistert an. Und genau das ist, was damit bezweckt wird: Sie werden eigenständiger, trauen sich mehr zu und das macht sie stolz. Jeder noch so kleine Meilenstein, der bewältigt wurde, ist ein riesiger Erfolg. Obendrein kommt der Spaß nicht zu kurz.

Saskia ist total vernarrt in den Fußballsport

Andreas ist zum Beispiel nicht nur ein toller Hausmann, der für seine 81-jährige Mutter und seinen Bruder kocht und backt, sondern überdies ein äußerst talentierter Maler. Saskia wiederum ist total vernarrt in den Fußballsport. Sie spielt selber und hat als eine von zwei Spielerinnen, der Rest des Teams besteht aus Männern, immerhin bereits bei drei Turnieren mitgewirkt. Ihr absoluter Lieblingsverein ist der VfB Stuttgart und sie war sogar schon mit der Lebenshilfe in der Mercedes-Benz Arena. "Da ist der VfB auf Dortmund getroffen", schwärmt sie mit leuchtenden Augen.

Ein wahrer Segen also, was die Lebenshilfe Oberes Nagoldtal da anbietet: Die Chance, sein Leben weitgehend selbstbestimmt zu leben und zudem mit einem breit gefächerten Freizeitprogramm aufzuwarten.