Foto: M. Bernklau Foto: Schwarzwälder-Bote

Luise Kinseher, die "Bavaria" vom Nockherberg, kitzelt auch das Nagolder Publikum in der Alten Seminarturnhalle

Nagold. Sie ist gern in Nagold, man merkt das. Fast so gern wie auf dem Nockherberg in München, wo Luise Kinseher beim Starkbieranstich, als erste Frau übrigens, seit Jahren mit ihrer Fastenpredigt als "Mama Bavaria" der bayerischen Prominenz den Rost runterlässt. "Derblecken" heißt der derbe Spaß, bei dem es vor allem vielen Politikern sichtlich Mühe macht, sich ein gequältes Mitlachen abzutrotzen.

Nun war die Kabarettistin mit ihrem Soloprogramm "Ruhe bewahren!" in der voll besetzten Alten Seminarturnhalle zu Gast. Und ein bisschen trat sie auch hier ein paar Gästen etwas nahe mit ihren kleinen, aber ganz harmlosen Sticheleien. Die erste Reihe ist kein ungefährlicher Ort, wenn man von ihr in Ruhe gelassen werden will.

Wie alle richtig guten Kabarettisten braucht sie nicht viel für ihre Kunst. Das "Kleine Schwarze", Stuhl und ein Mikro reichen fast schon für ihr nur scheinbar arglosen Plaudereien. Da scheint sie fast eins zu sein mit Luise Kinseher. Fast: eine Münchnerin mittleren Alters halt, die eine Eigentumswohnung sucht und sich fragt, wie sie mit 80 ihre Gewichtsprobleme finanzieren soll. Ihre Rahmengeschichte ist eine flüchtige Begegnung im Hotellift, mit einem irgendwie gut aussehenden, interessanten und vielleicht kreativen Mann, "ohne Ehering", dem sie, verdattert über den plötzlichen Flirt-Anflug, die Nummer ihres Smartphones gibt. Vielleicht wäre die Zimmernummer besser gewesen. "Bis bald", hat er noch gesagt. So muss sie nun warten, harren und "Ruhe bewahren!", ein wenig philosophieren, lästern, räsonieren. Schön subtil, sehr raffiniert und selbstironisch, diese Rolle.

Eher Piccolöchen als Starkbier

Es gibt noch zwei andere Luise Kinsehers. Die eine trägt einen Bademantel, heißt Mary, hat etwas von einem abgestürzten Engel oder leicht verwahrlosten Vamp, der nicht mehr so arg auf sich halten muss und sich dafür eher an irgendein geistreiches Getränk hält, eher Piccolöchen als Starkbier, leicht lallend und ziemlich angeekelt von der Welt und was sie einem zumutet. Mit der ganzen Wellness, dem Diätwahn, mit Yoga und dem herabschauenden Hund ist sie durch. Längst will sie nur noch "stüberln" anstatt sportlich mit Walkingstöcken zu "walden". Mary will ihre Ruhe haben. Aber von Quantenphysik versteht sie irgendwas, wenn sie kurz Gedanken zu Raum und Zeit, zu Relativität und Stephen Hawking anfliegen. So wird ihr Publikum irgendwann zur "lebendigen schwäbischen Materie", mit der sie auf "den großen Evolutionssprung" in vierte oder fünfte Dimensionen warten darf, zu "gefalteten Göttern".

Die dritte Kinseher spricht ein etwas etepetetes Hochdeutsch, heißt Helga und muss sich nach langen kinderlosen Ehejahrzehnten in ihrem grauen hochgeschlossenen Mantel um ihren Heinz kümmern statt um Enkel oder andere Kinder. Es sei "so harmonisch", auch mit all den schönen Erinnerungen, "wir sind uns in allem einig, seit Heinz alles vergessen hat".

Wie alle richtig guten Kabarettisten balanciert Luise Kinseher immer so am Rand des Korrekten, des politisch Korrekten. Sie erlaubt sich, sogar "Negerwitze" zu erzählen, gute natürlich, ohne heimlichen Rassismus. Ein wenig darf das Nagolder Publikum teilhaben am "Derblecken" der bayerischen Politiker, die "alle was genommen haben".

Im Lift damals, beschließt sie gegen Ende, muss sie in einer "Parallelwelt gewesen sein". Und ganz am Ende vibriert das Smartphone. Ein spitzer Schrei, und nach dem begeisterten Beifall darf sich Luise Kinseher zur Zugabe bitten lassen: "We have all the time", heißt der Song. Also Ruhe bewahren. Eben.