Vor dem Landgericht Tübingen muss sich derzeit ein 39-jähriger Familienvater verantworten. (Symbolfoto) Foto: M. Bernklau

Ehemann sticht im Wahn auf eigene Mutter ein und verletzt Ehefrau. Muss er in Psychiatrie bleiben?

Nagold/Tübingen - "Ich war jemand anders." Der 39-jährige M. versteht heute noch nicht, wie es zu dieser Bluttat kommen konnte, die ihn auf die Anklagebank des Landgerichts Tübingen geführt hat.

Er hatte alles, was man sich als Mann wünschen kann: Ehefrau, Kinder, neues Eigenheim, Erfolg und Erfüllung im Beruf. Aber der plötzliche Tod seines Vaters, mit dem er eigentlich eher ein schwieriges Verhältnis hatte, warf ihn nach eigenen Worten vor drei Jahren aus der Bahn. Er bekam psychotische Schübe. Zuvor war er schon eifersüchtig, nun aber wurde es krankhaft. Ärzte stellten bei ihm später eine paranoide Schizophrenie fest.

Er ging freiwillig in die psychiatrische Klinik, bekam Medikamente, die ihm halfen, und unterzog sich auch einer psychotherapeutischen Behandlung. Aber er setzte die Medikation ohne ärztliche Begleitung wieder ab. In der Familie war die Krankheit ein Tabu. Immer wieder kamen die Schübe zurück, M. zog sich in Hotelzimmer zurück. Wie auch an Pfingsten dieses Jahres.

Dem Psychotherapeuten, den er konsultierte, erzählte er nur die halbe Wahrheit. Wie es ihm wirklich erging, sagte er nicht. Am 25. Mai fuhr er zur Geburtstagsfeier seiner Ehefrau nach Hause. Seine Mutter erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte, als er sie in den Arm nahm: "Das war so roboterhaft", sagte sie beim ersten Verhandlungstag vor dem 5. Schwurgericht aus. Ansonsten sei der 39-Jährige ein schaffiger und ruhiger Mensch, aber "das war nicht mein Sohn". M. fühlte sich verfolgt, hatte Angst, man wolle ihn vergiften und blökte wie ein Schaf.

Die Familie wusste sich nicht mehr zu helfen und rief die Polizei. Sie kam zu spät. M. ging zuerst auf seine Frau los, schlug ihr auf den Kopf, riss ihr Haare heraus und versuchte sie die Treppe hinunterzustoßen. Den Schwiegervater, der dazwischen ging, traktierte er mit der Faust. Die Familie flüchtete aus dem Haus – bis auf die Mutter, die in diesem Moment aus dem Bad kam. M. stach ihr mit einem Messer mit einer 20 Zentimeter langen Klinge mehrfach in Rücken und Hinterkopf und versuchte sich anschließend selbst mit zehn Stichen in Bauch und Brust das Leben zu nehmen. "Es war wie im falschen Film", erinnerte sich die Mutter.

In den Augen der Staatsanwaltschaft hat der 39-Jährige "im Zustand der Schuldunfähigkeit" einen versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung begangen. Weil M. für die Allgemeinheit gefährlich sei, wurde er in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Ob er dort bleiben muss oder aber auf Bewährung mit entsprechender medizinischer Begleitung entlassen werden kann, soll nun das 5. Schwurgericht entscheiden. Der Arbeitgeber gibt M. die Chance, wieder an seinen alten Job zurückzukehren.

Der Angeklagte selbst kann sich an die Tat nicht mehr erinnern. Mehrfach betonte er vor Gericht, wie sehr ihn die Tat betroffen mache: "Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas passieren kann." Aber er sei sich bewusst, dass er bei der Ehefrau viel Vertrauen zerstört habe. Die Frau hat ihren Strafantrag mittlerweile zwar wieder zurückgezogen, kann sich derzeit aber nicht vorstellen, wieder mit ihrem Mann zusammenzuziehen: "Ich habe Angst", bekannte sie vor Gericht. Die Krankheit sei unberechenbar.

Die Verhandlung wird am Freitag fortgesetzt.